Interview mit Burkhard Hirsch:"Wenn Schäuble eine andere Republik will, dann soll er gehen"

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Heute erscheint der Grundrechtereport 2007, an dem der FDP-Politiker Hirsch mitgearbeitet hat. Den Zustand der Grundrechte hält er für Besorgnis erregend. Mit seiner Kritik zielt er vor allem auf Innenminister Schäuble. Aber er macht auch vor FDP-Parteifreunden nicht halt.

Thorsten Denkler, Berlin

Der FDP-Politiker Burkhard Hirsch war von 1975 bis 1980 Innenminister in Nordrhein-Westfalen. Hirsch gehörte mit dieser Unterbrechung von 1972 bis 1998 dem Deutschen Bundestag an, dem er zeitweise als Vizepräsident vorstand. Hirsch gilt als "Ikone liberaler Innenpolitik". Er hat zuletzt mit seinen Verfassungsklagen gegen den Großen Lauschangriff und gegen das Luftsicherheitsgesetz von sich reden gemacht.

Greift auch seinen Parteifreund und Nachfolger Ingo Wolf in NRW scharf an: Der FDP-Politiker Burkhard Hirsch. (Foto: Foto: Reuters)

sueddeutsche.de: Herr Hirsch, der Terrorismus hat die Welt unsicher gemacht. Darum muss alles versucht werden, die Sicherheit wieder herzustellen - mit dieser Logik begründen Innenminister gerne schärfere Gesetze. Können Sie dem noch folgen?

Burkhard Hirsch: Nein, das kann ich nicht mehr. Der sogenannte 'Krieg gegen den Terror' wird immer wieder benutzt, um Gesetze zu machen, die vorher undenkbar gewesen wären. Aber das ist seit mehr als 30 Jahren so. Es ist immer jemand da, der uns in vitaler Weise bedroht: die Mafia, die RAF, der Islamismus, der Terrorismus. Es ist immer jemand da, der dringend und unbedingt bekämpft werden muss.

sueddeutsche.de: Das Attentat vom 11. September 2001 hat es wirklich gegeben.

Hirsch: Dagegen helfen aber auch neue Gesetze nicht. Das Luftsicherheitsgesetz ist ein gutes Beispiel dafür.

sueddeutsche.de: Es soll den Abschuss entführter Flugzeuge regeln. Unnötig?

Hirsch: Verfassungswidrig - der Staat hat kein Recht, über das Leben entführter Passagiere nach Belieben zu verfügen. Er wird auch nie wissen, was die Täter wirklich vorhaben.

sueddeutsche.de: Ist die Bedrohung nicht tatsächlich gewachsen?

Hirsch: Den Menschen wird vorgegaukelt, ohne neue Gesetze würden wir in einer Welle von Kriminalität ertrinken. Das entbehrt jeder realistischen Grundlage. Mich hat wirklich verblüfft, als Innenminister Otto Schily bei der Verhandlung über das Luftsicherheitsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht erklärt hat, seiner Meinung nach werde es schon deshalb nicht zur Anwendung kommen, weil Deutschland so dicht besiedelt sei. Auf die Frage, warum das Gesetz dann nötig sei, wusste er keine befriedigende Antwort. Das ist blinder Aktionismus.

sueddeutsche.de: Zum G-8-Gipfel soll es eine sechs Kilometer breite Bannmeile vor dem Zaun in Heiligendamm geben, in der nicht demonstriert werden darf. Gehört das auch in die Kategorie Aktionismus?

Hirsch: Das Demonstrationsrecht ist ein erzdemokratisches Grundrecht. Der Staat muss alles tun, um Demonstrationen zu ermöglichen. Es kann nicht sein, dass durch eine Bannmeile Demonstrationen praktisch unmöglich gemacht werden. Hier wird nur der starke Staat markiert - das aber führt zu Eskalation. Wenn Demonstranten nicht erwünscht sind, könnte man den Gipfel gleich auf Helgoland stattfinden lassen.

sueddeutsche.de: Letztlich werden eher die Politiker gewählt, die harte Kante zeigen.

Hirsch: Sicher. Es ist immer gut, ein Retter zu sein. Gerade wenn die Gefahr so wenig fassbar ist, kann man die Bedrohung immer weiter aufbauschen. Ich erinnere an die hohe Zustimmung der Bevölkerung zu den Urteilen eines gewissen Amtsrichters namens Barnabas Schill in Hamburg. Wir müssen den Leuten sagen, dass absolute Sicherheit nur unter absoluter Aufgabe der Freiheit zu erzielen ist.

sueddeutsche.de: Innenminister Schäuble fordert weiter, die Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen.

Hirsch: Leider sagt er nicht, ob sie dabei dem Polizeirecht des Bundeslandes unterliegt oder Kriegsrecht anwenden soll. Herr Schäuble hat angedeutet, es sollten auch Kriegswaffen eingesetzt werden können. Will er Handgranaten, Artillerie und Maschinengewehre einsetzen? Das ist verfassungswidrig.

sueddeutsche.de: Welchen Eindruck macht der CDU-Politiker auf Sie?

Hirsch: Ich fürchte, dass Herr Minister Schäuble den Blick für die Realität verloren hat. Er respektiert nicht den Geist der Verfassung, sondern testet ihre Belastbarkeit.

sueddeutsche.de: Wie meinen Sie das?

Hirsch: Es ist doch erstaunlich, dass er gleich eine ganze Serie von Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes missachtet oder umdeutet. Beginnend mit dem Großen Lauschangriff, über das Luftsicherheitsgesetz, der Rasterfahndung, bis hin zum europäischen Haftbefehl. Aktuell ist eine Verfassungsbeschwerde anhängig zur heimlichen Überwachung privater Computer, die er einführen will. Dazu wird es höchstwahrscheinlich eine Verfassungsbeschwerde geben müssen zur geplanten Vorratsdatenspeicherung.

Wenn der Minister alle seine Pläne durchsetzen könnte, dann hätten wir eine andere Republik. Wenn er das will, dann sollte er sein Amt einem anderen überlassen.

sueddeutsche.de: Am besten einem FDP-Innenminister nach 2009?

Hirsch: Ich habe immer bedauert, dass die FDP seit Gerhart Baum keinen Innenminister mehr im Bund gestellt hat.

sueddeutsche.de: Dafür haben sie jetzt mit Ingo Wolf einen liberalen Nachfolger im Amt des nordrhein-westfälischen Innenministers. Der dürfte Ihnen wenig Freude bereiten.

Hirsch: Mich hat maßlos enttäuscht, dass er über eine Novelle des Verfassungsschutzgesetzes die heimliche Überwachung privater Computer durch den Verfassungsschutz ermöglicht hat. Das ist ein schwerer Missgriff. Ich hoffe sehr, dass die Verfassungsbeschwerde dagegen Erfolg haben wird.

sueddeutsche.de: Muss ein freiheitlicher Rechtsstaat akzeptieren, angreifbar zu sein?

Hirsch: Ja. Der Staat ist verpflichtet, das Leben der Bürger zu schützen. Aber er darf es nur schützen mit den Mitteln, die die Verfassung zulässt. Das haben wir bei der Entführung von Hanns Martin Schleyer erlebt und durchlitten. Wer aber an diesem Satz etwas ändern will, der verändert unser Land.

sueddeutsche.de: Oder erst mal die Verfassung?

Hirsch: Das wird solange nicht passieren können, solange das Bundesverfassungsgericht an dem Grundsatz festhält, dass die Menschenwürde unantastbar ist.

sueddeutsche.de: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die Große Koalition versuchen wird, das Grundgesetz sicherheitspolitisch zu sanieren?

Hirsch: Doch, die Gefahr sehe ich durchaus. Es war ja die Bundesregierung, die in der Europäischen Verfassung sich ausdrücklich ausbedungen hat, den Einsatz der Armee im Inneren ohne Beteiligung des Parlamentes möglich zu machen. Die EU-Verfassung ist hier Gott sei Dank noch nicht in Kraft. Die SPD wird die Frage beantworten müssen, ob sie der Bundeswehr erlauben will, im Inland Kriegsrecht anzuwenden. Das ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar.

sueddeutsche.de: Warum stellen Sie diese Frage nicht den Konservativen?

Hirsch: Die SPD hat ja den Glauben an die Grundwerte noch nicht ganz verloren. Der Konservative glaubt dagegen, der Staat kann nicht böse sein, weil er ja der Staat ist. Niemand bestreitet, dass dem Staat Grenzen gesetzt werden müssen. Aber sobald sie mit einem Konservativen über eine konkrete Grenze reden wollen, wird er ausweichen. Aber die Frage bleibt wichtig: Wo liegt die Grenze, ab der der Staat nicht mehr handeln darf?

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