Interview mit Alois Glück:"Wir brauchen eine stärkere soziale Sensibilität"

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Bayerns Landtagspräsident warnt vor Kürzungen, die die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft treffen. Für den harten Sparkurs der Staatsregierung sieht er aber keine Alternativen.

Von Sebastian Beck und Peter Fahrenholz

SZ: Noch vor wenigen Tagen sind Hunderttausende auf die Straße gegangen, um gegen den geplanten Sozialabbau zu protestieren. Haben Sie dafür Verständnis oder sagen Sie mit Erwin Huber: Diese Leute haben nicht kapiert, worum es geht?

Glück: Wir verurteilen immer noch zu viel in der Kategorie Verteilung. Die oberste Priorität wird immer noch zu wenig deutlich. Wir müssen die Leistungsfähigkeit unseres Landes steigern. Mich macht sehr besorgt, dass es uns allen miteinander bisher nicht gelungen ist, der Bevölkerung deutlich zu machen, was die veränderte Situation an neuen Strategien erfordert. Das scheint ein europäisches Problem zu sein, nicht nur ein deutsches.

SZ: Auch gegen die bayerische Sparpolitik gibt es heftige Proteste. Welche Fehler wurden da in Ihren Augen gemacht?

Glück: Eine Sparpolitik ruft immer Widerstand hervor. Für viele in Bayern kam das vielleicht etwas überraschend. Man kann sicher immer über den Zeitplan und die Berechtigung einzelner Maßnahmen streiten, aber für den gesamten Kurs gibt es keine vertretbare Alternative.

SZ: Gegen Stoibers Kurs laufen auch Gruppierungen Sturm, die bisher treu zur CSU standen. Ist das nur ein kurzfristiger Vertrauensverlust oder droht der CSU ein langfristiger Schaden?

Glück: Die Landespolitik erlebt gegenwärtig eine tiefe Zäsur. Wir sind seit 1993 auf einem Kurs der Modernisierung, dafür hatten wir Geld aus den Privatisierungserlösen zur Verfügung, die Menschen hatten eine positive Zukunftserwartung. Jetzt haben wir eine völlig veränderte Situation. Wir haben nichts Zusätzliches zu verteilen, wir stecken in einem Strukturwandel, wir müssen völlig neue Prioritäten setzen.

Stoiber hat das mit seiner Regierungserklärung hart in den Raum gestellt, in der Hoffnung, damit auch schnell einen Bewusstseinswandel zu erreichen. Das Risiko dabei war natürlich, dass viele den Weg zunächst nicht verstehen, weil er nicht durch intensive Diskussionen vorbereitet war.

SZ: Sie gehen offenbar nur von einer kurzfristigen Verstimmung aus? Viele Organisationen sind doch tief verbittert.

Glück: Wir haben als CSU zur Zeit Schwierigkeiten, weil sich mehrere Maßnahmen überlagern, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben. Wir haben zum einen die Sparbeschlüsse. Dann haben wir die Entscheidung über das G8, die sehr unvermittelt gekommen ist. Und dann steht eine Reihe von Entscheidungen im Rahmen der Verwaltungsreform an.

Das hat zu einer Gemengelage geführt, die politisch eine große Herausforderung ist. Wir müssen jetzt alles tun, um unseren Kurs zu verdeutlichen, damit es nicht zu einer schleichenden Erosion des Vertrauens kommt. Es ist ohne Zweifel damit ein gewisses Risiko verbunden. Wir müssen nach dieser Kursbestimmung wieder eine Konstante hineinbringen, damit unsere Politik wieder als kalkulierbar, verlässlich und kompetent empfunden wird. Das war immer unser Markenzeichen.

SZ: Muss mit der Hektik der Regierung Schluss sein?

Glück: Alle Signale, die ich empfangen habe, zeigen, dass von der Staatskanzlei sehr gründlich überdacht worden ist, ob es bei der Verwaltungsreform jetzt genauso weitergehen kann. Aus meiner Sicht muss bei jedem Projekt eine für alle erkennbare Reihenfolge da sein.

Das ist erstens eine Analyse der Aufgaben: Was brauchen wir noch, worauf können wir verzichten? Dann benötigen wir eine Kosten-Nutzen-Analyse der jeweiligen Reformalternativen. Daraus kann sich dann ein nachvollziehbarer Entscheidungsprozess entwickeln.

Das wird am Schluss immer Härten für einige Leute bedeuten. Aber wenn die Betroffenen vorher zu Beteiligten gemacht werden, dann werden die Entscheidungen nachvollziehbarer. Die Menschen müssen sich ernst genommen fühlen durch die Art der Diskussion. Dann akzeptieren sie viel mehr als gegenwärtig.

Glück: In der Pflege sind Sparmaßnahmen inakzeptabel

SZ: Wo sehen Sie die sensiblen Bereiche, wo das "S" der CSU auf dem Prüfstand steht?

Glück: Ich sehe eine Entwicklung, die mich tief beunruhigt, und die ich nicht für akzeptabel halte. Das sind Sparmaßnahmen im Bereich der Behinderten und bei der Pflege, die von den Bezirken eingeleitet werden, weil die ihrerseits mit dem Rücken an der Wand stehen. Meine Grundhaltung ist: Was der Einzelne zumutbar leisten kann, muss er leisten. Wenn er aber trotz aller Anstrengungen keine menschenwürdige Existenz führen kann, hat er Anspruch auf Hilfe.

Das heißt, wer sich nicht selbst helfen kann, weil er pflegebedürftig ist oder behindert, braucht weiterhin eine besondere Unterstützung. Hier brauchen wir eine stärkere soziale Sensibilität gegenüber den Schwächsten. Die pauschale Diskussion über die Senkung sozialer Standards beunruhigt mich.

SZ: Ein konkretes Beispiel?

Glück: Es sollen zum Beispiel Förderstätten für Behinderte nicht mehr dauerhaft unterstützt werden. Oder die Sparmaßnahmen bei der Pflege. Es gibt im Sozialbereich sicher Felder, wo man guten Gewissens kürzen kann. Aber wir dürfen nicht dort sparen, wo es die Schwächsten trifft.

Bei den Behinderten brauchen wir sogar mehr Geld, weil ihre Zahl zunimmt. Sonst wäre eine Rationierung medizinischer und pflegerischer Leistungen unausweichlich und dann kommt morgen der Ruf nach aktiver Sterbehilfe und Euthanasie. Ich will hier nicht die Bezirke schelten. Wir brauchen eine andere Finanzierung dieser Leistungen. Der Bund und auch das Land müssen sich diesen Aufgaben stellen.

SZ: Für Sie ist das auch eine Frage der Menschenwürde?

Glück: Ja, es geht hier auch um die Grenzen der Menschenwürde. Ich rate allen Politikern, sich immer vor Augen zu halten, ein Angehöriger aus dem eigenen Familienkreis wäre in so einer Situation. Wir werden bei weiteren Sparmaßnahmen darauf achten müssen, wie sie sich bei den Schwächsten auswirken. In der Konsequenz wird man dann wahrscheinlich bei anderen Gruppen noch stärker kürzen müssen.

SZ: Es ist bereits absehbar, dass im nächsten Haushalt weitere Kürzungen drohen. Wo ist für Sie die Grenze?

Glück: Das lässt sich nicht abstrakt bestimmen. Ich bin darauf eingestellt, dass es noch weitere schmerzliche Kürzungen geben wird. Umso wichtiger ist, dass wir miteinander reden, wo Differenzierungen möglich sind.

SZ: Seitdem Sie nicht mehr Fraktionsvorsitzender sind, treten Sie immer wieder als Mahner auf. Wird das von Stoiber goutiert?

Glück: Wir haben nach wie vor ein gutes Verhältnis zueinander. Und es war von vornherein klar und besprochen, dass ich auch nach meinem Wechsel aus dem Fraktionsvorsitz in das Amt des Landtagspräsidenten weiter aktiv in der Politik bleibe.

Ich halte mich nach außen mit Äußerungen zur Tagespolitik natürlich zurück, aber ich arbeite intern aktiv mit. Natürlich sind und waren wir nicht in jedem Detail gleicher Meinung, was aber nichts daran ändert, dass wir in einem fruchtbaren Gedankenaustausch stehen und Vertrauen zueinander haben.

SZ: Ist Ihr Rat denn noch gefragt? Die Staatskanzlei fegt doch alle Bedenken gegen die Reformvorhaben gern vom Tisch.

Glück: Ich kann aus meinen Gesprächen durchaus entnehmen, dass man an meiner Meinung interessiert ist, auch daran, dass ich die Dinge mittrage. Das kann dazu führen, dass ich intern bei dem einen oder anderen durchaus Korrekturbedarf anmelde.

SZ: Sie zünden in der Fraktion also immer mal wieder eine Granate?

Glück: Ich zünde überhaupt keine Granaten, das ist völlig gegen mein Naturell. Ich versuche, heute wie früher, die Dinge im internen Dialog zu klären und das Ergebnis dann loyal mitzutragen. Dass mir nicht jedes Ergebnis hundertprozentig gefällt, ist klar. Aber das muss jeder von uns in Kauf nehmen.

© SZ vom 13.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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