Inhaftierte:Rechtlos

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Mit welch fadenscheinigen Begründungen die Amnesty-Aktivisten in Istanbul festgehalten werden.

Von Mike Szymanski

Als der Anwalt Murat Deha Boduroğlu am Mittwoch den deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner und seinen schwedischen Kollegen Ali Gharavi im Gefängnis im Istanbuler Stadtteil Maltepe besuchte, hatte er einen Stapel Bücher mitgebracht, unter anderem Alfred Besters Science-Fiction-Roman "The Stars My Destination". Es geht um einen Raumfahrer, der im Wrack seines havarierten Schiffs zurückbleibt. Es geht um das Gefühl des Verlorenseins, um Rache, ums Überleben. Boduroğlu dachte sich, das sei ein ganz gutes Buch, wenn es ums Durchhalten geht. Er selbst mag es sehr.

In der Nacht zu Dienstag hatte ein Istanbuler Richter für Steudtner und Gharavi sowie vier türkische Menschenrechtler Untersuchungshaft angeordnet. Sie gehörten zu einer Seminargruppe, die sich Anfang Juli auf einer der Istanbul vorgelagerten Inseln getroffen hatte, um über IT- und Datensicherheit in der Menschenrechtsarbeit zu reden. Die Behörden verdächtigen sie aber, Terrororganisationen zu unterstützen. Welche? Das wissen selbst die Anwälte nicht. Auch wegen des Verdachts der Spionage wird gegen die Aktivisten ermittelt.

Als Boduroğlu die beiden Ausländer am Mittwoch traf, sah er ihnen an, wie sehr die Vorwürfe sie mitnehmen. Sie wirkten auf ihn "seelisch erschöpft", erzählt er später in seinem Büro. Die Männer machten sich Sorgen, wie lange sie in U-Haft bleiben müssen. "Das sind schwere Anschuldigungen." Das Gesetz erlaubt bis zu fünf Jahre Haft. Beide sind noch nicht einmal eine Woche im Gefängnis. Aber jeder Tag setze ihnen schon gewaltig zu, sagt Boduroğlu.

Peter Steudtner ist seit Dienstag in Untersuchungshaft. (Foto: privat/dpa)

Er ist entsetzt, was den Menschenrechtsaktivisten in seinem Land widerfährt. "Es gibt keinen einzigen Grund, sie einzusperren", sagt Boduroğlu. Die Akten halten die Behörden unter Verschluss, sie berufen sich auf Geheimhaltung. Die Informationen, die er von der Staatsanwaltschaft bekomme, würden keine Verhaftung rechtfertigen. "Wer gegen Gesetze verstößt, sollte bestraft werden", sagt Boduroğlu. "Aber in diesem Fall gibt es überhaupt keine Beweise." Aus seiner Sicht als langjähriger Anwalt führe die Justiz einen "politischen Prozess" gegen die Beschuldigten. "Sie werden wegen ihrer Menschenrechtsarbeit bestraft."

Natürlich drängt sich im Fall des Deutschen noch ein anderer Verdacht auf. Handelt es sich bei seiner Verhaftung womöglich um Rache dafür, dass Berlin Türken, die aus Sicht Ankaras am Putschversuch vor einem Jahr beteiligt gewesen sein sollen, Asyl gewährt, statt sie auszuliefern? Boduroğlu sagt: Im Protokoll der Staatsanwaltschaft finde sich "kein einziger Beweis und rechtliches Argument", die zur Verhaftung führen könnten. Die Haft bezeichnet er als "ganz offen gesetzwidrig". Seine Mandanten bekämen im Moment nicht einmal die Möglichkeit, vertraulich mit ihren Anwälten zu sprechen. Bei ihrem jüngsten Gespräch seien sechs Beamte mit im Raum gewesen, die Tür habe offen gestanden, und die Unterhaltung sei per Kamera aufgezeichnet worden. Nicht nur das beklagt der Anwalt.

Ali Gharavi brauche Medikamente. Er leide an Angstattacken, das sei schon vor der Verhaftung der Fall gewesen. Aber in den ersten vier Tagen in Polizeigewahrsam habe ihm niemand seine Tabletten besorgt. Auch fehlten Dolmetscher, wenn die beiden Ausländer dem Arzt vorgestellt würden. Der Berliner Steudtner gibt sonst Seminare zur Stressbewältigung. Seine Lebenspartnerin Magdalena Freudenschuss sagte, er sei zumindest von Berufs wegen auf solche Extremsituationen vorbereitet. Sie selbst darf ihren Partner in der U-Haft nicht besuchen, weil sie nicht verheiratet sind. Immerhin, so berichtet es der Anwalt, durfte er Bücher mitbringen. Und bei Treffen bekomme er ausreichend Zeit gewährt. Das deutsche Generalkonsulat wartet aber seit Tagen auf einen Besuchstermin.

Ali Gharavi wird ebenfalls Terrorunterstützung vorgeworfen. (Foto: privat)

Anwalt Boduroğlu sagt, er sei deprimiert. Mit der Verhaftung der Menschenrechtler werde der Meinungsfreiheit im Land ein weiterer Schlag versetzt. Auch Anwälte wie er könnten sich kaum noch dem zunehmenden Druck entziehen. Es ist fast schon surreal: 2004 hatten er und der jetzt inhaftierte Ali Gharavi in Ankara bei einem Menschenrechtssymposium für 500 Teilnehmer aus 90 Ländern mitgemacht. Regiert wurde das Land damals schon von Recep Tayyip Erdoğan. Er war Ministerpräsident zu der Zeit und profilierte sich als großer Reformer. Die Freiheitsrechte waren ihm einmal wichtig.

Als Erdoğan Ende der 1990er-Jahre Bürgermeister von Istanbul war und wegen des Rezitierens eines Gedichts zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, setzte sich Amnesty International für seine Freiheit ein. Am Symposium der Menschenrechtler 2004 habe sich der türkische Staat sogar finanziell beteiligt, erzählt Boduroğlu. Die Regierung sei regelrecht froh gewesen, die Menschenrechtler im Land zu haben.

Und heute? Da landen sie im Gefängnis.

© SZ vom 21.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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