Inhaftierte Ex-Regierungschefin:Deutsche Ärzte behandeln Timoschenko

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Mediziner aus Deutschland haben Julia Timoschenko in ihrer Heimat besucht. Am Dienstag soll die Behandlung in einem Krankenhaus in der Ukraine fortgesetzt werden. Die Politikerin befindet sich seit etwa zwei Wochen im Hungerstreik.

Julian Hans, Cerstin Gammelin und Thomas Urban

Die inhaftierte frühere ukrainische Premierministerin Julia Timoschenko hat vorläufig einer Behandlung im Land zugestimmt. Das teilte der Chef der Berliner Charité Karl Max Einhäupl am Freitagabend mit. Timoschenko habe in einem ausführlichen Gespräch mit ukrainischen und deutschen Ärzten eingewilligt, sich am kommenden Dienstag in das Eisenbahner-Krankenhaus in Charkow verlegen zu lassen. Dort soll ein Arzt der Charité mit Unterstützung ukrainischer Ärzte die Behandlung beginnen.

Zehn Monate ist sie jetzt in Haft: Julia Timoschenko. Ihre Anhänger protestieren weiter für ihre Freilassung. Zur Behandlung ihrer Rückenschmerzen ist nun ein deutsches Ärzteteam angereist. (Foto: dapd)

Einhäupl war am Freitag in die Ukraine gereist, um Timoschenko erneut zu treffen. "Dies ist ein gemeinsamer Schritt, der Lösung des Problems näher zu kommen", sagte er nach dem Gespräch. Auch deutsche Diplomaten waren bei dem Besuch dabei. Bundesaußenminister Guido Westerwelle sagte in New York, die Hilfe durch die deutschen Ärzte in Charkow könne nur eine "vorläufige Hilfe" sein. Mit Timoschenko solle daher auch erörtert werden, "welche Lösungsmöglichkeiten es aus ihrer Sicht geben kann". Timoschenko müsse eine angemessene medizinische Behandlung bekommen. Das werde "in der Ukraine sicherlich so nicht möglich sein".

In einem Gutachten hatte Einhäupl festgestellt, dass das Krankenhaus in Charkow für eine Behandlung von Timoschenkos Bandscheibenvorfalls ausreichend ausgerüstet ist. Das Problem sei aber, dass die Patientin den ukrainischen Ärzten nicht vertraue. Sie war nach eigenen Aussagen am 20. April unter Anwendung von Gewalt in das Krankenhaus gebracht worden, hatte sich aber einer Untersuchung widersetzt.

Die ukrainischen Behörden bestritten, dass Timoschenko in einen Hungerstreik getreten und vom Gefängnispersonal geschlagen worden sei. Laut der Kiewer Tageszeitung Segodnja haben Gefängniswärter in Charkow in Privatgesprächen jedoch bestätigt, dass Timoschenko seit anderthalb Wochen kein Essen mehr zu sich nehme. Die Informanten der Zeitung wurden mit den Worten zitiert: "Wir werden sie aber nicht sterben lassen." Presseagenturen schlossen daraus, das Gefängnis bereite ihre Zwangsernährung vor. Die Tochter der Politikerin, Jewgenia Timoschenko, hatte berichtet, ihre Mutter sei bereits sehr geschwächt.

"Ein Boykott ist nicht konstruktiv"

In die Debatte um einen möglichen Boykott der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine stellte sich der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), gegen die Spitzen der beiden anderen europäischen Gremien. "Ein Boykott ist nicht konstruktiv", sagte Schulz der Süddeutschen Zeitung am Freitag.

Bevor das Großereignis aus politischen Gründen blockiert werde, müssten alle Anstrengungen unternommen werden, um "im Dialog mit der Regierung eine Lösung herbeizuführen". Er selbst stehe ständig in Kontakt mit Kiew. Schulz zeigte sich "optimistisch, dass eine Lösungsformel vor Beginn der Europameisterschaften gefunden wird". Ob er in die Ukraine fahre, um sich Spiele anzuschauen, hänge vom Ausgang der Verhandlungen ab. "Ich werde nicht fahren, wenn sich an der politischen Situation nichts ändert", sagte Schulz.

EU-Kommissionschef José Manuel Barroso hatte am Montag erklärt, er plane keinen Besuch in der Ukraine. Zwei Tage später schlossen sich die anderen 26 Kommissare an. Ein Kommissionssprecher bestritt, dass es sich um einen Boykott handle. Derzeit plane aber kein Kommissar, in die Ukraine zu reisen. Auch der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, will den Spielen dort fernbleiben. Die Bundesregierung ließ weiter offen, ob ihre Mitglieder Spiele in der Ukraine besuchen.

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/Reuters/sks - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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