Humor in Putins Russland:Der Aufschwung ist bitterer Ernst

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Zur Sowjetzeit gab es in Russland einen Überfluss an Witzen. Manche waren sehr kurz. So wie jene legendäre Frage: "Ist das schon der Kommunismus, und wird es noch schlimmer?" Diese Zeiten sind vorbei. Dem Witz geht es schlecht.

Daniel Brössler, Moskau

Wladimir Putin ist verschwunden. Seit einigen Jahren schon hat ihn die Öffentlichkeit nicht mehr zu Gesicht bekommen. Vermutlich vermodere er zusammen mit seinen Schicksalsgenossen irgendwo in den Lagern der Mosfilm-Studios, aber genau wisse er es nicht, meint Viktor Schenderowitsch.

Wladimir Putin lacht nicht gerne - und schon gar nicht über sich. (Foto: Foto: AP)

Der Satiriker und Buchautor ist einer der Männer, die Putin zum Star gemacht haben - allerdings Putin, die Puppe, nicht Putin den Politiker. Früher gab es im russischen Privatsender NTW ein Programm namens "Kukly" (Puppen). Nach dem Vorbild der britischen Sendung Spitting Image präsentierte es die Mächtigen des Landes als Hampelmänner und zeigte dabei ihr wahres Gesicht.

Millionen Russen sahen zum Beispiel wie Putin, die Puppe, in Stalin-Pose unbotmäßigen Journalisten den Garaus machte. Doch das ist lange her. Eine Sendung wie Kukly, davon ist Schenderowitsch überzeugt, kann es im heutigen Russland nicht mehr geben.

Das wirft die Frage auf, ob die Russen im Jahre sieben der Ära Putin nichts mehr zu lachen haben. Es ist eine Frage, die Schenderowitsch interessant findet. Es ist kühl geworden in Moskau im späten August, weshalb er sich auf der Veranda des Moskauer Wyssotzkij-Clubs in eine Decke gehüllt hat und eine heiße Suppe löffelt.

"Warum es in der sowjetischen Zeit viele Witze gab und heute wenig?", wolle man also wissen. Der 49-Jährige zögert nicht mit der Antwort: "Meine Großmutter war noch Kommunistin, mein Großvater glaubte an die Weltrevolution. Schon die Generation unserer Väter glaubte nicht mehr. Und für unsere Generation war der Kommunismus ein Witz."

Unter diesen Umständen sei der Witz ein lebensnotwendiges Ventil für den sich aufstauenden Ärger im sowjetischen Alltag gewesen. "Der Witz war nicht zensierbar. Er war das, was in der Zeitung, im Radio und Fernsehen nicht erlaubt ist, aber wohl in der Küche hinter dem Wodkaglas", erzählt er.

"Was ist eine Schlange?" - "Was ist Wurst?"

Auf eigenartige Weise wehmütig denken viele Russen heute an jene Zeit zurück, in der es fast nichts in einem solchen Überfluss gab wie Witze. Manche waren sehr kurz. So wie jene legendäre Frage: "Ist das schon der Kommunismus, und wird es noch schlimmer?"

Unvergessen ist auch die Geschichte über einen Sozialisten, einen Kapitalisten und einen Kommunisten. Der Sozialist verspätet sich zu einer Verabredung und entschuldigt sich mit den Worten: "Tut mir leid, aber ich stand so lange in einer Schlange nach Wurst an." Der Kapitalist fragt verwundert: "Was ist eine Schlange?" Und der Kommunist: "Was ist Wurst?"

Gern gelacht haben die Bürger der Sowjetunion auch über den etwas tumben Parteichef Leonid Breschnew. So soll sich Breschnew, nachdem er eine Rede zu halten hatte, erschöpft beim Referenten beschwert haben: "Ich hatte einen Text für 15 Minuten bei Ihnen bestellt. Die Rede hat eine Stunde gedauert." Verlegen antwortete der Referent: "Ich hatte Ihnen vier Ausfertigungen gegeben."

Zufriedenheit erkauft

Witze wie diese waren es nach Meinung Schenderowitschs, welche die Sowjetunion zum Einsturz gebracht haben. Die eigene Lächerlichkeit habe das System zusammenbrechen lassen, "nicht der Kalte Krieg. Nicht der Westen. Nicht die Dissidenten oder der Archipel Gulag". Das heutige System sei zwar auch nicht demokratisch, aber dafür effektiver.

Die herrschende Elite habe sich jeglicher Ideologie entledigt und widme sich pragmatisch der Selbstbereicherung. Dank hoher Weltmarktpreise für Öl und Gas habe sich Putin gleichzeitig aber auch die Zufriedenheit der Bevölkerung erkaufen können.

"Die Menschen leben nicht in großem Wohlstand, aber sie haben es sich gemütlich gemacht. Niemand denkt daran, was passiert, wenn der Ölpreis fällt", sagt Schenderowitsch, der sich vor einigen Jahren ohne Erfolg als oppositioneller Parlamentskandidat versucht hatte, dies allerdings eher als künstlerisches Projekt verstanden wissen will.

Politischer Humor sei etwas für Minderheiten geworden, meint der Satiriker. Witze über Putin gebe es zwar auch, aber nur recht harmlose. "Kennen Sie den?", fragt er dann. "Putins Töchter wollen auf die Universität. Das Auswahlverfahren ist streng. 40 Hochschulen bewerben sich um einen Platz."

Das sei eben nicht böse, sondern höchstens ein wenig ironisch. Auf den ersten Blick sei Putin den Russen einfach ganz sympathisch. Er sei "jung, sportlich, eloquent", und wenn er sich in Rambo-Manier mit nacktem Oberkörper zeige, komme auch das gut an.

Mit System gegen die Komik

"Die Komik Breschnews war offensichtlich. Putins Komik muss erklärt, aufgedeckt werden", sagt der Satiriker, und seine wachen braunen Augen funkeln dabei. Deshalb habe das Genre der Karikatur, der Satire schnell verschwinden müssen, nachdem Putin an die Macht kam.

Putin und seine Leute gingen dabei systematisch vor. Nur Monate nach dem Amtsantritt des neuen Präsidenten gerieten der Sender NTW, auf dem seit 1995 die "Kukly" tanzten, und sein Eigner Wladimir Gussinskij ins Visier der Justiz. Mit rabiaten Methoden übernahm schließlich im April 2001 der staatliche Gazprom-Konzern die Macht bei NTW.

Damit war klar, dass auch die Tage von Kukly gezählt sein würden. Der Präsident, so wurde den Machern damals gesagt, finde die Sendung nicht komisch. Das galt zwar womöglich auch für Putins Vorgänger Boris Jelzin. Der aber hätte sich nicht die Blöße gegeben, die Sendung absetzen zu lassen.

"Letztlich ist Kukly wegen eines deutschen Klassikers abgeschafft worden", meint Schenderowitsch. Gekommen sei das so: Für eine Folge der Puppensendung ließ sich der Satiriker von E.T.A. Hoffmanns Erzählung Klein Zaches, genannt Zinnober, inspirieren. Darin geht es um den kleinen missgestalteten Zaches, der nicht gehen und stehen kann.

Putin lacht gerne - über andere

Aus Mitleid kämmt ihm die Fee Rosabelverde das struppige Haar und verleiht ihm damit die Gabe, von allen Menschen für einen hübschen, verständigen Menschen gehalten zu werden, dem dazu noch alle Leistungen zugerechnet werden, die in seiner Gegenwart andere vollbringen.

Schenderowitsch stellte Putin in jener Folge also als Zaches dar, der von einer Fee namens Boris Beresowskij gekämmt wird. Im wirklichen Leben hatte der Oligarch Beresowskij Putin beim Aufstieg geholfen, war dann aber in Ungnade gefallen. Zum Teil, berichtet Schenderowitsch, habe er Hoffmann wörtlich zitiert. Das aber "war mehr als Putin ertragen konnte". Hoffmann habe sich einfach als "furchtbarer Anti-Putinist erwiesen".

Über den Kremlchef ist bekannt, dass er durchaus lachen kann, allerdings nicht über sich selber. Als der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert einmal zu Besuch in Moskau war, kam Putin auf die Vorwürfe wegen sexueller Belästigung zu sprechen, die gegen den damaligen israelischen Präsidenten Mosche Katzav erhoben wurden.

"Grüßen Sie Ihren Präsidenten", sagte Putin, "er hat sich als starker Mann erwiesen. Zehn Frauen hat er vergewaltigt. Das hätte ich nie von ihm erwartet. Er hat uns alle überrascht. Wir sind alle neidisch." Kasernenhof-Humor nennt das Schenderowitsch, doch es ist eine Tonlage, die bei vielen Bürgern nicht schlecht ankommt.

Humor-Nische Internet

An bestimmten Orten aber regt sich in Russland noch der Geist, der nicht mit, sondern über Wladimir Wladimirowitsch Putin lacht. Einer dieser Orte ist das Internet. Populär ist die Internetseite vladimir.vladimirovich.ru, auf der jeden Tag eine kleine, mal gut, mal nicht so gut erfundene Geschichte aus dem Leben des Präsidenten zu lesen ist.

Zuletzt etwa jene über den Anruf des Generalstaatsanwaltes, der verzweifelt beichtet, die im Falle der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja Festgenommenen hätten alle ein Alibi und müssten freigelassen werden. "Vielleicht lügen die über ihr Alibi", hilft Putin dem Staatsanwalt auf die Sprünge. Der bedankt sich artig für den Hinweis und kann gar nicht fassen, dass er nicht selber darauf gekommen ist.

Das Internet sei wichtig, meint Schenderowitsch, aber da artikuliere sich eben nur eine Minderheit. Als er seinen Job beim Fernsehen verloren habe, hätten ihn einfache Leute auf der Straße angesprochen und bemitleidet, erzählt Schenderowitsch. "Nicht ich habe Probleme, ihr habt sie", habe er ihnen entgegnet. "Aber, dass Satire im Fernsehen ihrem Wohlergehen dient, haben die Menschen noch nicht verstanden."

© SZ vom 1.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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