Hessische Affären:Riesling-Connection

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Es ist der derzeit größte Wirtschaftskrimi in der Medienbranche: Beim Werbekonzern Aegis soll einer der Chefs gemeinsam mit Kumpels mehr als 30 Millionen Euro veruntreut haben. Das Beziehungsgeflecht geht bis in das Kabinett von Hessens Ministerpräsident Koch. Wer hat wen kriminell unterstützt?

Klaus Ott

Die aristokratischen Gäste ließen sich in Pferdedroschken vorfahren. Viele von ihnen waren mit Frack und Zylinder ausgestattet oder in mächtige historische Gewänder verpackt. Gemeinsam mit Prominenten aus Politik, Wirtschaft und Sport vergnügten sie sich im Kurhaus zu Wiesbaden. Es war ein rauschendes Pfingstfest, wie eine Feier aus einem vergangenen Jahrhundert. Seit 2002 verabreden sich Geld- und Hochadel in Hessens Landeshauptstadt zum Ball des Weins. Man tanzt Walzer, lauscht den Chansons. Der Schirmherr, der hessische Ministerpräsident Roland Koch, sagte einmal: "Wir sind Riesling."

Seit einiger Zeit kümmert sich die Staatsanwaltschaft Wiesbaden um einige der Ball-Freunde. Die Ernüchterung ist groß. Die Strafverfolger sind auf ein Geflecht gestoßen, in dem es nicht nur um die Vorliebe für Riesling ging. Ein paar Walzerkönige sollen beim Geschäft mit Fernsehwerbespots in die eigenen Taschen gewirtschaftet oder die von den Strafverfolgern vermuteten Schiebereien unterstützt haben.

Der Hauptbeschuldigte Andreas Ruzicka, 46, bis kurz vor seiner Verhaftung im Oktober 2006 einer der Chefs des Werbekonzerns Aegis Media und dort zuständig für Zentraleuropa und Afrika, soll gemeinsam mit mehreren Kollegen mehr als 30 Millionen Euro bei Aegis veruntreut haben. Die Wiesbadener Staatsanwaltschaft will bald Anklage gegen Ruzicka erheben.

Wer hat wen kriminell unterstützt?

Bei der Frage, wer wen wie kriminell unterstützt hat, haben die Ermittler eine Spur entdeckt, die bis in das Kabinett von Ministerpräsident Koch (CDU) führen könnte. Die Fahnder stießen bei Recherchen im derzeit größten Wirtschaftskrimi in der Medienbranche wiederholt auf den Namen Volker Hoff. Der 49-jährige CDU-Politiker ist Kochs Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Landtagsabgeordneter. Vor einem Jahr hatte ihn die Staatsanwaltschaft als Beschuldigten geführt - doch das Verfahren mangels Tatverdacht eingestellt. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung sagt Hoff, er habe sich "nichts zuschulden kommen lassen".

Bis März 2006, bis zu seinem Aufstieg ins hessische Kabinett, war Hoff Geschäftsführer und darüber hinaus auch Mitinhaber der Wiesbadener Werbeagentur Zoffel Hoff Partner, kurz: ZHP. Die Firma betreut Kunden wie die Deutsche Telekom und organisiert Wahlkämpfe für die CDU oder die konservativen Volksparteien in Österreich und Südtirol.

Auch Hoffs ZHP-Partner, der Werbemanager Reinhard Zoffel, 46, stand bei der Staatsanwaltschaft anfangs auf der Liste der Beschuldigten. Auch gegen ihn wurde, wie bei Hoff, das Verfahren vor einem Jahr eingestellt.

Im Sommer 2006 - nach Hoffs Ausstieg - benannte Zoffel die ZHP in Zoffel Steiger Kommunikationsagentur GmbH um. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wieder gegen Zoffel: wegen Beihilfe zur Untreue. PR-Mann Zoffel hält sich für unschuldig. Er sagt, er habe zu keiner Zeit an Manipulationen oder Bereicherungen zu Lasten von Aegis oder anderen Firmen beziehungsweise Personen "bewusst mitgewirkt". Das klingt etwas vorsichtiger als beim hessischen Minister Hoff.

"Pflegestätte edler Kunst"

Hoff gehört dem Aufsichtsrat der Ball des Weines AG an, die das prunkvolle Fest veranstaltet, Zoffel dem Vorstand. Der in Untersuchungshaft sitzende ehemalige Aegis-Boss Ruzicka war einst Mitglied des Ballkomitees. Hat da im Kurhaus von Wiesbaden, in dieser "Pflegestätte edler Kunst und Heimstätte edler Geselligkeit" (Kurhaus Werbung), eine Riesling-Connection zueinandergefunden, die bei nicht ganz legalen Transaktionen Reibach machte?

Für das Finanzgebaren der ZHP interessiert sich jedenfalls die Staatsanwaltschaft. Sie prüft, ob über die Agentur von Zoffel und Hoff zwischen 2002 und 2006 mehrere Millionen Euro zu Lasten der Aegis Media verschoben worden sein könnten. Über andere Firmen, die nichts mit ZHP zu tun haben, soll weit mehr Geld abgezeigt worden sein.

Die international tätige Aegis Media vermittelt in Deutschland jährlich Werbeaufträge aus Industrie und Wirtschaft in Höhe von mehr als drei Milliarden Euro an die Medien, einen Großteil davon ans Fernsehen. Die deutsche Zentrale ist in Wiesbaden angesiedelt. Von den vermuteten Manipulationen sollen außer Ruzicka noch weitere frühere Aegis-Manager profitiert haben. Darunter einer, der wie Ruzicka vormals die Ehre hatte, jenem Ballkomitee anzugehören, das die Rebsaft-Sause im Kurhaus förderte.

Die Ermittler sind zu dem vorläufigen Ergebnis gekommen, Ruzicka und einige Mitstreiter bei Aegis hätten mit Hilfe von Geschäftspartnern und deren Agenturen sowie über ein Netz von Tarnfirmen Fernsehwerbespots auf eigene Rechnung vermarktet. Es soll sich um so genannte Freispots gehandelt haben (siehe Info-Kasten). Die ZHP, so die Vermutung, könnte daran mitgewirkt und davon profitiert haben. Der CDU-Politiker Hoff war an der Agentur als einer der beiden Namensgeber nach eigenen Angaben bis 2006 mit 50 Prozent beteiligt.

Wie bei Wilhelm II.

Über Geschäfte der ZHP mit Ruzicka und anderen Aegis-Managern und darüber, ob er daran persönlich mitgewirkt habe, will Hoff keine Auskunft geben. Er gehe davon aus, im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens als Zeuge gehört zu werden, sagt er. Deshalb könne er solche Fragen nicht beantworten. Der Minister bittet um Verständnis.

Auch Zoffel bittet um Verständnis dafür, dass er es vorziehe, seine Kenntnisse zu den Vorgängen, die Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gegen Ruzicka und andere Personen seien, "zuerst der Staatsanwaltschaft und nicht den Medien zur Verfügung zu stellen".

Was den Strafverfolgern vorliegt, scheint belastend zu sein. Eine frühere Aegis-Beschäftigte gab an, Aegis habe der ZHP zahlreiche Freispots im Fernsehen zur Vermarktung überlassen. Die Erlöse dieser von ZHP verkauften Spots hätten eigentlich vor allem Aegis zugestanden. Der Großteil des Geldes sei aber über eine "Gutschrift" bei Zoffel Hoff Partner verblieben. Hier habe ein krasses Missverhältnis zu Lasten von Aegis bestanden. Ein vormaliger Aegis-Manager äußerte sich ähnlich.

Weitere Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren besagen, dass Ruzicka und weitere Aegis-Manager jahrelang hohe Summen über die ZHP kassiert haben sollen. Von Zoffel Hoff Partner sollen zwischen 2002 und 2006 mehrere Millionen Euro an die Firmen Camaco und Life 2 Solutions geflossen sein. Die Camaco gehörte, über eine Treuhänderin, Ruzicka und drei weiteren damaligen Aegis-Managern. Bei der Life 2 Solutions war Ruzicka wohl Alleininhaber.

Den Wiesbadener Ermittlern erzählte Ruzicka, er und seine Kollegen hätten die ZHP regelmäßig beraten und dafür ganz legal Honorare kassiert. Man habe sich in der Regel mindestens einmal pro Woche getroffen und sei mehrere Tage pro Monat für die ZHP tätig gewesen. Die ZHP habe so Zugriff auf vier erfahrene und hoch qualifizierte Manager gehabt, sagte Ruzicka dem Vernehmen nach aus.

Neben seiner arbeitsintensiven Führungsposition bei Aegis will Ruzicka also noch zusätzlich für die ZHP tätig gewesen sein. Hessens Europaminister Hoff kommentiert das nicht, obwohl das alles während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer und Gesellschafter der ZHP geschehen sein soll. Er antwortet auch nicht auf die Frage, warum die angeblichen Beraterhonorare nicht direkt an die Aegis-Manager, sondern an die Firmen Camaco und Live 2 Solutions ausbezahlt worden seien. Angeblich hat Hoff selbst einmal einen Scheck für Camaco übergeben. Das hat eine Beschuldigte gegenüber den Ermittlern ausgesagt. Hoff äußert sich auch dazu nicht.

Ruzicka hat bei seinen Vernehmungen den Vorwurf zurückgewiesen, er habe Firmenvermögen von Aegis veruntreut. Dass die Staatsanwaltschaft das anders sehe, irritiere und frustriere ihn, beklagte er im Mai. Wenig später, am Pfingstsamstag, fand wieder der Ball des Weines statt. Ohne Ruzicka diesmal, aber mit Zoffel. Seine Agentur organisierte das süffige Beisammensein bei Salonmusik aus der Zeit Wilhelms II. Es sei eine unvergessliche Nacht gewesen, schwärmten die Veranstalter.

© SZ vom 15. Juni 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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