Hessen:Mausgrau glänzend

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Grüner Vize-Ministerpräsident: Tarek Al-Wazir. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Vier Windräder in einem Jahr: Den Grünen in Wiesbaden gelingt unter Vize-Ministerpräsident Tarek Al-Wazir das Kunststück, politisch wenig zu säen und viel zu ernten.

Von Matthias Drobinski, Frankfurt

Am 12. Dezember 1985 sitzt Joseph Fischer, genannt Joschka, im hessischen Landtag und macht sich Gedanken über die CDU. "Sie hasst uns Grüne", schreibt er in sein politisches Tagebuch, "sie hasst mich bis aufs Blut." Denn: "Zweimal hatten die Konservativen das Maul bereits aufgesperrt und zum Biss in die Regierungswurst angesetzt - zwei mal haben sie sich dank grüner Hilfe kräftig in die Zunge gebissen. Diese Enttäuschung, diesen Schmerz, diese Wut, das werden sie uns nicht vergessen." Am Nachmittag des selben Tages wird Fischer als Umweltminister der ersten rot-grünen Landesregierung in Deutschland vereidigt. Zurück nach Frankfurt geht es im Wagen des alternativen Anstreich-Unternehmens "Rote Rolle". CDU und Grüne repräsentierten damals verschiedene Welten: Hier der parlamentarische Arm der struppigen Demonstranten gegen die Startbahn West, dort Alfred Dreggers tiefschwarze Kombattanten, den Stahlhelm festgezurrt.

Gut 34 Jahre später besuchen Volker Bouffier von der CDU und Tarek Al-Wazir von den Grünen gemeinsam die Schäfchen des Klosters Gnadenthal im Kreis Limburg-Weilburg. Sie würdigen damit einen vorbildlichen Bio-Landbetrieb, mehr aber noch ihre gute Zusammenarbeit als Ministerpräsident und stellvertretender Ministerpräsident des Landes Hessen, getragen von einer schwarz-grünen Koalition im Wiesbadener Landtag. "Die Koalitionspartner arbeiten vertrauensvoll zusammen", sagt Bouffier. Das klingt so selbstverständlich, dass Al-Wazir den mitgereisten Journalisten erklärt: "Wir haben öfter als Sie denken unterschiedliche Meinungen" - die aber harmonisiere man dann in konstruktiver Weise.

Ein Jahr regiert nun das schwarz-grüne Bündnis in Hessen in zweiter Auflage, sechs Jahre lang halten es also die Partner schon miteinander aus, trotz ihrer so unterschiedlichen Geschichte als linkenfressender Innenminister (Bouffier) und Anti-Startbahn-Demonstrant (Al-Wazir). Mehr noch: Sie verstehen sich ausgesprochen gut. "Wer das Misstrauen kennt, das die rheinland-pfälzische Koalition von SPD, FDP und Grünen gelegentlich prägt, staunt darüber, wie gut die Machtmaschine in Wiesbaden geölt ist", schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Tatsächlich ist die Geräuscharmut ein Merkmal des Bündnisses, in dem manche ein Pilotprojekt für den Bund sehen, wie es einst das rot-grüne war. Zum Jahrestag befand die SPD-Fraktionsvorsitzende Nancy Faeser: "Schwarzgrün bleibt mausgrau", ohne zu bedenken, dass genau dies das Erfolgskonzept dieser Regierung sein könnte.

Affirmation statt Revolution - eigentlich müsste das für die CDU gar kein und für die Grünen ein ziemliches Problem sein. Und tatsächlich hätten die hessischen Grünen-Wähler den ein oder anderen Grund, mit der Regierung in Wiesbaden unzufrieden zu sein: Ganze vier Windräder sind 2019 in Hessen aufgestellt worden, was Wirtschaftsminister Al-Wazir auf die windradfeindlichen Bundesregelungen zurückführt - andere Länder kommen aber mit ihnen deutlich besser zurecht. Überhaupt sind die hessischen Anstrengungen gegen die Erderwärmung zwar ordentlich, aber auch nicht ehrgeiziger als die des bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder.

Dass es in der hessischen Polizei rechtsradikale Vorfälle gab, müsste die Grünen zutiefst regierungskritisch werden lassen - nur sind sie halt selber in der Regierung. Beim Skandal um die keimbelastete Wurst des nordhessischen Herstellers Wilke machte ausgerechnet die grüne Verbraucher- und Umweltministerin Priska Hinz keine gute Figur. Ein Gesetzentwurf zur Neustrukturierung der Ausländerbeiräte bringt viele Migrationsfachleute gegen die Grünen auf; im Rhein-Main-Gebiet drängen Wohnungsnot und Verkehrskrise, auf dem Land herrscht digitale Steppe. Den Hessen geht es nicht schlecht, das Land ist aber auch nicht vorn, wie in den Siebzigerjahren sein stolzer Slogan hieß, sondern mittendrin dabei.

Nur ist das paradoxerweise derzeit mehr für die CDU ein Problem als für die Grünen. Die Christdemokraten müssen sich den Bauern erklären, den Dieselfahrern, den Wirtschaftsvertretern oder, wie gerade erst, den Schäfern, die fürchten, dass der Wolf, der nun auch durchs Hessische streift, ihre Schafe reißt - es ist ihre Klientel, die sich von den aktuellen Debatten und Entwicklungen bedrängt sieht. Die Grünen müssen eigentlich gar nichts tun, außer größere Skandale zu vermeiden und den Leuten zu erklären, dass, was da auf sie zukommt, gar nicht so schlimm ist und weder den Wohlstand gefährdet noch den Alltag über den Haufen wirft. Mehr noch als von der Bundespolitik wollen die Wähler von der Landespolitik, die sie jenseits der Schulpolitik kaum wahrnehmen, in Ruhe gelassen werden.

Belastbare aktuelle Umfragen über die Sympathie der hessischen Wähler gibt es derzeit nicht, der bundesweite Höhenflug der Grünen dürfte aber auch hier stattfinden. Im vergangenen Jahr gewannen die Grünen in Hessen mehr als 1100 Mitglieder hinzu, die CDU verlor fast 800 Mitglieder, die SPD, immer noch die mitgliederstärkste Partei im Land, mehr als 1600. Bei den Kommunalwahlen in gut einem Jahr dürften die Grünen in den Städten des Landes manches Rathaus von der SPD gewinnen.

Die Grünen, hat Ministerpräsident Volker Bouffier neulich dem Spiegel gesagt, seien "Hauptkonkurrent" der CDU - "wir haben in Hessen mehr Stimmen an die Grünen verloren als an die AfD." Aus den Feinden von einst sind Mitbewerber auf Augenhöhe geworden - auch das erklärt den Erfolg des schwarz-grünen Bündnisses in Hessen.

© SZ vom 18.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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