Hessen:Die Problemsäule

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Kassel streitet über Olu Oguibes Obelisken der Documenta, eine Hommage an die Flüchtlinge und ihre Helfer. Es geht ums Geld, den Ort und auch um das zwiespältige Verhältnis der Bürger zur Kunstschau vom vergangenen Jahr.

Von Susanne Höll, Kassel

An kühlen Tagen ist nicht viel los am Kunst-Obelisk in Kassel. Ein junger Mann sitzt auf der Stufe des Pfeilers. Ein Liebespaar lehnt an der Säule, man küsst einander selbstvergessen. Im vorigen Sommer aber war das Monument ein viel besuchter Treffpunkt. Mehr noch: Die Stele des Künstlers Olu Oguibe, beschriftet mit dem nahezu wörtlichen Bibelzitat "Ich war ein Fremdling, und ihr habt mich beherbergt", zog das Publikum der Documenta 14 magnetisch an. Inzwischen jedoch hat sich an dem Obelisken ein eigentümlicher Konflikt entzündet. Es geht um Erinnerungskultur, wieder einmal.

Eigentümlich deshalb, weil viele Kasseler Oguibes Arbeit aus samtweichem Beton zunächst gern dauerhaft in der Stadt behalten hätten. Es ist gute Tradition, alle fünf Jahre eines der Documenta-Außenkunstwerke zu erwerben: die Eichen von Joseph Beuys, den Erdkilometer von Walter de Maria. Und natürlich den erklärten Liebling der Einheimischen, den Himmelsstürmer, der in menschlicher Gestalt auf einem langen Rohr zu den Wolken strebt. Sie alle haben Kassel verschönert, keine Frage. Ob der Obelisk, eine Hommage an die Flüchtlinge und ihre Helfer, die Serie komplettieren wird, ist allerdings fraglich. Zwar sind zahlreiche Kasseler davon überzeugt, dass das Monument auf dem zentralen Königplatz stehen bleiben soll. Andere wiederum sprechen sich gegen einen Ankauf aus oder gegen den Verbleib auf dem Königsplatz, dem historischen Begegnungsort im Zentrum - oder auch gegen beides. Die Kommunalpolitiker, mit Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) an der Spitze, machen sich mehrheitlich nicht stark für einen Kauf: Keinen Cent soll es aus der Stadtkasse geben. Aber sie sagen, die Säule könne in der Stadt bleiben, wenn die Bevölkerung bis Ende April genug Geld dafür spendet.

Etwa 100 000 Euro sind auf dem Spendenkonto bereits eingegangen. Der Künstler wünschte sich zunächst die stattliche Summe von einer Million Euro, inzwischen sind 600 000 Euro im Gespräch. Viel zu viel, monieren die Kritiker, eine solche Summe solle man lieber in den Kita-Ausbau oder andere soziale Projekte stecken. Für Kunstwerke gebe es keine allgemeingültige Preisberechnung, halten Befürworter dagegen. Susanne Völker, die parteilose Kulturdezernentin der Stadt und ein Fan der Säule, sagt: "Olu Oguibe ist bewusst, dass bei einer Spendenaktion niedrigere Beträge zusammenkommen als die, die er sich wünschen würde." Sie will sich im Mai erneut mit dem Nigerianer beraten, über den Preis und über den Standort.

Denn der Disput kreist nicht nur ums Geld, sondern auch um einen geeigneten Ort. Auf dem Königsplatz jedenfalls wollen viele Bürger die mehr als 16 Meter hohe Betonstele nicht stehen lassen, auch die Parteien sind dagegen. Allerlei Gründe werden genannt: Die Säule stehe nicht in der Mitte des Platzes, sei nicht herrschaftlich genug, zerschneide Sichtachsen und polarisiere die Leute. Etliche andere Standorte sind in der öffentlichen Diskussion, doch keiner liegt so zentral und hat so viel Publikumsverkehr.

Unfug, sagt Hans Eichel (SPD), einst selbst Oberbürgermeister in Kassel, später Bundesfinanzminister. "Der Obelisk soll bleiben, wo er ist. Er gehört in die Mitte der Stadt." Eichel hat gespendet. Drei Euro müsste jeder Einwohner geben, damit die Säule bleiben darf. Daraus wird nichts. Ist man in Kassel fremdenfeindlich?

Nein, ist man nicht. Die AfD sitzt zwar im Stadtparlament und hat den Obelisk schon 2017 als "entstellte Kunst" bepöbelt. Dennoch ist Kassel ein Ort der Integration. Hier wurden Hugenotten aufgenommen, Sudeten- und Russlanddeutsche. Viele Türken kamen und kommen an die Fulda. Das Zusammenleben ist nicht immer einfach, aber insgesamt friedlich.

Nährboden des Verdrusses ist vielmehr die jüngste Documenta, die in der Politik und der Gesellschaft der Stadt Wunden hinterließ. Die letztjährige Ausstellung stieß auf ein sehr geteiltes Echo, Begeisterung kam nicht auf. Der künstlerische Leiter, Adam Szymczyk, machte sich nicht beliebt. Kurz vor ihrem Ende stand die Documenta 14 vor der Zahlungsunfähigkeit, die Stadt und das Land Hessen mussten Millionen nachschießen. Oberbürgermeister Geselle, gerade ins Amt gekommen, regte sich auf, es kam zum Streit mit der Geschäftsführerin der Documenta, die nun ihr Amt aufgibt. Aus der Kunstszene hagelte es Kritik an Geselle, die er und Teile der Bevölkerung als überspannt empfanden. Manch einer sah gar die Existenz der ganzen Kunstschau in Gefahr, Geselle gilt in der Szene nicht eben als Feingeist.

Mit dem legendären Kampf um die Kunsttreppe kann sich der Krach nicht messen

Nach Ansicht von Susanne Völker sind diese Verwerfungen für die aktuelle Debatte verantwortlich. "Das ist noch immer die Auseinandersetzung mit der jüngsten Documenta", sagt die Kulturdezernentin. Hinzu komme die Erinnerung an einen früheren Kunststreit. Zur Documenta 9 im Jahr 1992 wurde auf dem Königsplatz eine Treppe mit einer hölzernen Plattform errichtet. Sie stand dort jahrelang, verkam zusehens und ließ das Blut der Einheimischen kochen. In einer Nacht- und Nebelaktion ließ der damalige Oberbürgermeister Georg Lewandowski (CDU) das Werk abreißen. Er wurde zu einer Strafzahlung von 15 000 Euro verurteilt - und in der Stadt gefeiert. "In der Diskussion über den Standort des Obelisken wird diese Treppe immer wieder als warnendes Beispiel genannt", so Völker.

Mit dem Kampf um die Kunsttreppe kann sich der jetzige Krach jedoch nicht messen. Mancher weiß ihm sogar Gutes abzugewinnen. Hier werde eine große gesellschaftliche Debatte geführt, in der es letzten Endes um Fluchtursachen, Bürgerkriege und Klimakatastrophen gehe, sagt Boris Mijatovic, Kreischef der Grünen. Das ist sicher nicht falsch, hilft aber wenig bei der Lösung des Säulenproblems.

Der Gastronom, Hotelier und Documenta-Fan Rainer Holzhauer macht der Stadt und ihren Bürger einen Vorschlag zur Güte: "Der Obelisk ist ein Angebot an alle, endlich Frieden mit der für manche so schwierigen jüngsten Documenta zu machen." Soll heißen: Kauft das Kunstwerk und lasst es stehen, wo es ist.

© SZ vom 07.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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