Hessen:Die Bitteren und die Glückseligen

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Nach ihrem Wahlsieg wollen sich die Grünen noch nicht festlegen, mit wem sie künftig regieren. Sicher gilt: Eine Neuauflage von Schwarz-Grün dürfte die CDU etwas kosten.

Von Susanne Höll, Wiesbaden

Die Mienen vieler hessischer Wahlkämpfer waren am Montag sehr blass. Alle waren müde, kein Wunder nach dieser auch für hessische Verhältnisse sehr langen und wechselvollen Wahlnacht. Erst nach Mitternacht stand fest, wie es überhaupt weitergehen könnte mit einer neuen Regierung und einer neuen Koalition. Bis dahin hatte man gejubelt und gefeiert, getrauert, geweint und natürlich auch ziemlich viel getrunken, aus Überschwang oder Verzweiflung.

Die einen erlebten jene glückseligen Momente, die die oft so zähe und anstrengende Politik jenseits des Tagesgeschäfts zu bieten hat. Andere wiederum waren am Boden zerstört, auch wenn sich deren Protagonisten große Mühe gaben, es so gut wie möglich zu verbergen. CDU, SPD und auch die Grünen erlebten in Hessen am 28. Oktober tatsächlich Schicksalsmomente.

Für die Sozialdemokraten von Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel war es ein äußerst bitterer Tag. Sie hatten einen munteren Wahlkampf auf die Beine gestellt, hatten regen Zuspruch an ihren roten Ständen in den Fußgängerzonen und waren sich sicher, dass sie nach 19 Jahren Opposition diesmal ein vorzeigbares Ergebnis präsentieren, vielleicht sogar wieder im Land regieren könnten. Mehr als 20 Prozent, klar, sagten die Wahlkämpfer im Endspurt. Schäfer-Gümbel, der zum dritten Mal angetreten war, um Ministerpräsident zu werden, war in Hochstimmung gewesen. Stunden, bevor die Abstimmungslokale am Sonntag öffneten, hatte er noch gesagt, er würde gern noch eine weitere Woche Wahlkampf machen. "Es dreht sich was", sagte er voller Hoffnung und voll jenes Adrenalins, das den erschöpften Protagonisten in solchen Wettrennen oft überraschende Energien schenkt.

Es drehte sich tatsächlich etwas - die SPD ist unter die 20-Prozent-Hürde gerutscht und, in Stimmen gemessen, nicht einmal mehr zweitstärkste Kraft, sondern nur noch die dritte, knapp hinter den Grünen, die 94 Kreuzchen mehr erhielten.

Trotz des Wahldesasters macht niemand in der Partei dem SPD-Chef den Job streitig

Schäfer-Gümbels Ehefrau Annette kämpfte am Wahlabend mit den Tränen, andere ließen ihren Gefühlen freien Lauf. Der Spitzenkandidat selbst wirkte am Sonntag nahezu gebrochen. Dabei wird ihm in Hessen niemand Vorwürfe machen, auch anderswo nicht. Wie geht es weiter mit ihm und seiner Hessen-SPD? Bei der Sitzung seiner Landesparteigremien am Nachmittag wollte er, wie es hieß, die Vertrauensfrage stellen. Das gehört sich so, schließlich hat er als Landesvorsitzender und Spitzenkandidat das schlechteste Ergebnis seiner Partei in der einstigen roten Hochburg Hessen zu verantworten. Wie das Parteivotum ausgeht, steht wohl zweifelsfrei fest: Schäfer-Gümbel hat das volle Vertrauen seiner Parteikollegen, niemand macht ihm den Job streitig. Generalsekretärin Nancy Faeser sagte am Montag, sie gehe davon aus dass Schäfer-Gümbel seine beiden Posten behalten werde. Wie lange er das tun wird, ist offen. Die Landes-SPD droht in der Opposition zu verdorren, sie braucht neue Kraft und Energie und, ja, auch neue Leute. Wer etwas werden will bei den Hessen-Sozis, engagiert sich seit geraumer Zeit viel lieber in der Kommunalpolitik als im Landtag in Wiesbaden.

Weiter so? Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU, links) und sein Stellvertreter, Wirtschaftsminister und Koalitionspartner, Tarek Al-Wazir (Grüne), gratulieren einander am Sonntagabend. (Foto: Oliver Dietze/dpa)

Die Grünen feierten dagegen laut, fröhlich und bis in die Puppen. Die Bar, die sie unweit vom Landtag für die Wahlnacht angemietet hatten, war übervoll, mancher kam nicht einmal mehr zur Tür herein. Am Montag wurde noch einmal gejubelt, nur kurz allerdings, diesmal im Landtagsgebäude. Das Ergebnis von 19,8 Prozent ist grandios. Zudem hat die Öko-Partei erstmals in ihrer hessischen Geschichte Direktmandate erobert. Es sind allesamt Wahlkreise in größeren Städten: Frankfurt, Offenbach, Darmstadt und Kassel.

In Offenbach setzte sich der grüne Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir, Vize-Ministerpräsident der nun nur noch amtierenden schwarz-grünen Koalition, als Wahlkreiskandidat durch - gegen seinen Noch-Kabinettskollegen, Landessozialminister Stefan Grüttner (CDU). Das ist bitter für den Christdemokraten, der nun nicht mehr im Landtag sitzen wird. Denn über die Landesliste, auf der Grüttner abgesichert war, wird nach den Stimmenverlusten kein einziger CDU-Politiker in das Landesparlament einziehen.

Das gute Abschneiden bei der Wahl ist auch eine Genugtuung für die Hessen-Grünen. In der Bundespartei wurde die Juniorpartnerschaft mit den Christdemokraten von Ministerpräsident Volker Bouffier lange Zeit kritisch gesehen, Al-Wazir und seine Mannschaft standen im Ruf, strebsam und eifrig, aber eben auch sehr konziliant gegenüber den Christdemokraten zu sein und überhaupt zu friedfertig, zu wenig streitlustig. Das hat den Grünen in Wiesbaden weh getan. Und erklärt vielleicht auch, warum sie sich nach der Landtagswahl nicht unmittelbar auf eine Neuauflage des Bündnisses mit der CDU festlegen, sondern auch mit anderen Parteien über eine Kooperation sondieren wollen. Immer wieder betonten die beiden Parteivorsitzenden Angela Dorn und Kai Klose am Montag, dass sie ihre Koalitionsentscheidung von Sachfragen und Inhalten abhängig machen wollen, keine Vorfestlegung auf ein bestimmtes Bündnis getroffen hätten.

Bisher saßen zwei grüne Minister im Kabinett, im Fall einer neuen Koalition werden es mehr sein

In die Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen gehen sie auf jeden Fall gestärkt. "Wir werden jetzt noch selbstbewusster mit unseren Themen umgehen", sagte Klose. Es gibt aber wenig Zweifel daran, dass die Grünen wieder mit der CDU zusammenarbeiten werden. Denn die FDP, die die Grünen gemeinsam mit der SPD für eine Ampel-Koalition gewinnen müssten, sträubt sich heftig gegen einen Ministerpräsidenten Al-Wazir. Mit der Öko-Partei können sich die Hessen-Liberalen partout nicht anfreunden. Deren Generalsekretärin Bettina Stark-Watzinger nannte eine Ampel ein "Fantasiegebilde", bezweifelte, dass es sich beim Gesprächsangebot der Grünen um eine ernsthafte Offerte handelt, und kündigte an: "Wir werden eine konstruktive Opposition leisten."

Die schwer gerupfte CDU jedenfalls möchte nur allzugern mit den Grünen weiterregieren und wird dafür höhere Preise zahlen müssen, inhaltlich, aber auch personell. Bislang saßen zwei grüne Minister im Kabinett, im Fall einer Neuauflage werden es natürlich mehr sein. Die Christdemokraten sind für diesen Fall darauf eingerichtet, dass sich die Balance zwischen den beiden Parteien verschieben wird. Dass sich die Grünen in Sachen Koalition nun etwas zieren, pikiert den einen oder anderen Christdemokraten aber schon. "Ich habe immer die Erfahrung gemacht, dass man bei guten Wahlergebnissen am besten bodenständig bleibt und nicht überschnappt", sagte CDU-Landesgeneralsekretär Manfred Pentz. Besonderen Wert legte er auf die Feststellung, dass man mit den Grünen immer fair umgegangen sei und sie in den vergangenen fünf Jahren niemals hochnäsig behandelt habe.

Die Christdemokraten hatten am Sonntag auch wenig Grund zu feiern, die Party im großen CDU-Fraktionssaal hatte sich alsbald aufgelöst. Einige der Teilnehmer schwärmten später noch durch Wiesbaden, manche kamen zu der fulminanten Grünen-Party, da herrschte schließlich ungetrübte Stimmung. Ministerpräsident Bouffier ging auch früh, bevor klar war, dass er seine alte Koalition rechnerisch fortsetzen kann. Er war stark erkältet und musste noch in Fernsehstudios - und am Montag zur Bundespartei nach Berlin.

Bouffier, der am 18. Dezember 67 Jahre alt wird, hat erklärt, er wolle noch einmal über fünf Jahre Ministerpräsident sein und sich dann aus der aktuellen Politik verabschieden. Ob er tatsächlich eine volle Legislaturperiode im Amt bleibt, ist Gegenstand von Spekulationen. Er ist aufseiten der CDU der Hauptgarant für schwarz-grüne Zusammenarbeit. Fragte man die Grünen in den vergangenen Jahren, ob sich die Christdemokraten sich tatsächlich von der einst strammen Organisation hin zu einer liberal-offenen Partei entwickelt haben, erhielt man die Antwort: "Unter Bouffier schon. Aber das kann sich unter anderer Führung vielleicht auch wieder ändern."

© SZ vom 30.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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