Hessen:Das Steak-Tollhaus

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Ein Stadtteilfest in Kassel soll ohne Wurst und Rippchen auskommen. Das gefällt nicht allen. Nun entscheidet die Debatte vielleicht sogar die Oberbürgermeisterwahl.

Von Susanne Höll

Manche Städte haben echte Herausforderungen zu bestehen. Sie sind pleite. Oder sie drohen am Feinstaub zu ersticken. Das nordhessische Kassel ist weder pleite noch akut umweltbedroht. Kassel hat ein eigentümliches Problem mit Würsten.

Und das kommt so: Zum Tag der Erde Mitte April, seit Jahren angeblich weltweit begangen, werden in Kassel erstmals keine tierischen Grillprodukte angeboten. Das hatte der Organisator dieses Gedenktages, das nicht parteigebundene Umwelthaus, vor Längerem entschieden. Mit der Begründung, dass der diesjährige Platz im Ortsteil Wolfsanger knapp und ein Fleischverzicht mit Blick auf die ökologischen Bedingungen zudem von Vorteil sei. So weit, so gut. Respektive schlecht.

Unter normalen Umständen hätten sich manche über den Speiseplan erregt. Wobei man sich fragt, ob man heutzutage jeden Menschen auf jedem Stadtteilfest mit dem jeweiligen Leibgericht beglücken muss. Kann man nicht notfalls im eigenen Heim speisen? Seltsame Sitten.

Normal jedenfalls sind die Zeiten in Kassel nicht. Anfang März wird in der Stadt ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Amtsinhaber Bertram Hilgen (SPD) mag nicht zum dritten Mal antreten, sondern lieber bergwandern, im Himalaja oder sonstwo. Das Rennen zwischen SPD und CDU - unter Mitwirkung einer Grünen-Kandidatin - gilt als spannend. Keiner kann sich eines Sieges gewiss sein.

Wurst und Weckewerk gehören zu Kassel wie die Fulda, argumentiert die CDU

Auftritt der Nicht-Würste in der Stadtpolitik. Auf Antrag der CDU beschäftigte sich, kein Witz, die Stadtverordnetenversammlung mit dem Fest. Es geht, wohlgemerkt, um die Veranstaltung eines privaten Organisators, dessen Pläne, so sie die öffentliche Sicherheit nicht gefährden, die Politik nicht zu interessieren haben. Dessen ungeachtet argumentierte die städtische CDU, Wurst und Weckewerk gehörten zu Kassel wie die Fulda. Für Nicht-Nordhessen: Weckewerk ist ein für Liebhaber delikates, aber, nun ja, gewöhnungsbedürftiges Gemisch aus Schlachtresten und Brot.

Der SPD-Kandidat für den Oberbürgermeisterposten, der derzeit auf Plakaten viele Zähne zeigende Christian Geselle, ließ sich auf seiner Facebook-Seite umgehend beim Biss in eine Bratwurst fotografieren. Ohne die Bürgermeisterwahl, so viel steht fest, wäre der Grillkrieg nicht so heftig entbrannt.

Bleiben die Grünen, die bei der Wahl nicht die besten Chancen haben und auch bundesweit kämpfen müssen. Mit fleischfreier Kost ("Veggie Day") hatten sie bei der Bundestagswahl 2013 ihr Resultat nicht verbessert. Dass sich nun die halbe Kasseler Welt aufregt über kulinarische Bevormundung, kann die Ökos nicht erfreuen. Obwohl sie nicht die Herren oder Herrinnen des Stadtteilfests sind, geraten sie abermals in den unguten Ruf der Teller-Despoten.

Kassels Grüne schienen selbst manchen eigenen Leuten zu defensiv in dieser Debatte zu sein. Boris Mijatovic, Ko-Chef des Kasseler Kreisverbandes, räumt ein, dass die Grünen in Sachen Fleischverzehr aus früheren Zeiten ein "Glaskinn" haben. Aber die aktuelle Fleischfrage sei objektiv Sache der Veranstalter. Seine Partei verbiete nichts. Und bei der OB-Wahl werde weiter gekämpft. "Wir haben da keine Angst."

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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