Henry Kissinger wird 80:Amerikas Metternich

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Wenn in New Yorks Society etwas Wichtiges passiert, darf er nicht fehlen: Henry Kissinger. Aber schon wird heftig gehämmert am Sockel des Standbildes.

Stefan Kornelius

Das Wichtigste in der Sonntagsausgabe der New York Times sind das Society-Register und die Bilder der Brautpaare - junge, aufstrebende Menschen, die sich dem Spiel der Gesellschaft ausliefern. Schön also, wenn man in diesen Spalten auftaucht, und besonders schön, wenn dies bei der Hochzeit des Jahres der Fall ist. Rudy Giuliani hat also geheiratet, sein Bürgermeister-Nachfolger Michael Bloomberg diente als Standesbeamter - und Henry Kissinger war auch da.

Henry Kissinger (Foto: dpa)

Mehr ist nicht zu sagen über das gesellschaftliche Top-Ereignis des Wochenendes in New York, außer, dass die Braut ein Diadem trug und Kissinger erstaunlicherweise am Abend zuvor noch in Berlin saß, gleichwohl rechtzeitig zur Trauung in New York aufschlug.

Denn Henry macht sie alle glücklich. Seine Anwesenheit und ein Scherz über die gutturale Verunstaltung der fränkischen wie der amerikanischen Sprache verzückt ein paar hundert Dinner-Gäste in einem Atrium in Berlin. Und in New York wird eine Ikone wie Giuliani ohne ihn (und die Baseball-Legende Yogi Berra) die Vermählung nicht wagen.

Am heutigen Dienstag wird dieser Henry Kissinger selbst im Mittelpunkt stehen - noch mehr als gewohnt, muss man sagen. An diesem Dienstag nämlich wird er 80, was sowohl in Berlin wie in New York das übliche Geraune über Rüstigkeit und Präsenz auslöst.

Der große Rauner

Für Geraune ist aber nur einer zuständig, Henry Kissinger selbst, weil er der vielleicht professionellste Rauner der amerikanischen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg ist, weil er wie kein anderer in Andeutungen, Zweideutigkeiten und Halbgarheiten zu sprechen vermag, gleichwohl aber immer einen messerscharfen Intellekt und einen harten Willen hinter all den Undeutlichkeiten erkennen lässt.

Was ist nicht alles über ihn geschrieben worden, wenn auch vieles, was unscharf blieb: geboren in Fürth bei Nürnberg, mit der Familie 1938 vor den Nationalsozialisten geflohen, 1943 eingebürgert in die USA; Arbeit in der Rasierpinselfabrik, dann Harvard, Harvard, Harvard; ein brillanter Analytiker, bekennender Anhänger einer von Metternich, Bismarck und Co. abgeleiteten Realpolitik, fixiert auf den Ausgleich von Macht. Mit dem jungen Bush kann er deshalb nicht so gut - zu viel Moral, zu wenig Balance.

Ein Überlebender von Watergate

Dann der weniger akademische Teil der Biografie unter den Präsidenten Nixon und Ford: Sicherheitsberater und Außenminister, acht Jahre im Zentrum der US-Außenpolitik, ein Überlebender von Watergate, der vielleicht schwersten innenpolitischen Krise des Landes.

Allein dies zeichnet ihn als wahren Künstler im politischen Geschäft aus. 1977 verließ Kissinger die Regierung und wandte sich dem anderen Geschäft zu. Niemand hat seine politische Aura besser vermarktet als das Orakel von der Park Avenue, das über ein einzigartiges Netz an Kontakten in der Welt verfügt - zu nutzen von Industrie und Politik gegen die Zahlung nicht geringer Summen.

Mann der Geheimabsprachen

Dieses Netz sollte Kissinger opfern, als ihn Präsident Bush zum Vorsitzenden der "Untersuchungskommission 11. September" machen wollte. Der Vorwurf der Kritiker: Gefahr der Verquickung von privatem und staatlichem Interesse.

Kissinger sah die Falle und zog sich zurück. Der Kongress hatte nicht weniger als seine Kundenliste einsehen wollen.

Nein, Offenheit ist nicht sein Metier, Kissinger ist ein Mann der Geheimabsprachen. Die spektakuläre Reise nach China, die Pendeldiplomatie im Nahen Osten, die Vietnam-Gespräche, die Raketenverhandlung mit Moskau - all die kleinen und großen Krisen in der heißen Phase des Kalten Kriegs. Nur langsam öffnen sich die Archive, Kissinger selbst hat die eigenen Papiere bis fünf Jahre nach seinem Tod sperren lassen.

Aber schon wird heftig gehämmert am Sockel des Standbildes. Chile und Allende, die Ermordung von General Schneider, das Geheimbombardement von Laos und Kambodscha, der bewusst hintertriebene Friedensprozess für Vietnam: Kissinger wird in Frankreich und Chile zur Aussage gebeten, die Zahl der Gegner ist groß, sie sprechen von Kriegsverbrechen und Auftragsmord.

Das meiste ist unbewiesen, aber in der Chile-Sache besteht - juristisch exakt formuliert - ein Anfangsverdacht. Selbst in Minneapolis waren die Demonstranten kürzlich im Saal und beschimpften ihn als Völkermörder. Der realpolitische Instinkt wird Kissinger indes sagen, dass ein Urteil erst von der Geschichtsschreibung gefällt wird.

(sueddeutsche.de)

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