Hausbesuche:"Vom Roller bis zum Rollator"

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Kerstin Finger, 59, ist Zahnärztin in Templin in der Uckermark. Immer dienstags fährt sie über Land, um Patienten, die nicht zu ihr kommen können, zu Hause zu behandeln. (Foto: privat)

Warum die Zahnärztin Kerstin Finger aus dem brandenburgischen Templin sich verpflichtet fühlt, zu ihren Patienten zu fahren, und das inzwischen schon seit einigen Jahren.

Interview von Stefan Braun

SZ: Sie fahren als Zahnärztin übers Land. Warum das?

Kerstin Finger: Ich bin seit 35 Jahren mit Leib und Seele Landzahnärztin. Da haben Sie die ganze Familie im Blick; Sie reden nicht nur über die Kinder, sondern auch über Oma und Opa. Und irgendwann wurde mir bewusst, dass viele Ältere nicht mehr in die Praxis kamen, weil sie nicht mehr kommen konnten. Weil sie pflegebedürftig sind, weil sie nicht gehen können, weil es keinen Bus mehr gibt. Da ist in mir der Gedanke gewachsen.

Machen Sie das für alle?

Nein. Nur für die, die wirklich große Schwierigkeiten haben, zu mir zu kommen. Ich fahre ja nicht wie ein Bäckerwagen übers Land. Das ist keine komplett ausgestattete mobile Praxis. Ich habe meine Geräte dabei, trage sie rein, baue sie auf, am Bett oder in der Küche oder sonst wo, behandle und trage sie wieder raus.

Reagieren Sie darauf, dass der öffentliche Nahverkehr schwindet, die Zahl der Ärzte sinkt, die Versorgung generell abnimmt?

Das tue ich natürlich. Wir sind über viele Jahre geschrumpft; außerdem sind wir eh immer dünn besiedelt gewesen. Dazu wurde der öffentliche Nahverkehr abgebaut. Und was noch extremer ist: Dieser wurde an die Schulzeiten angepasst. Das heißt: In Ferienzeiten fahren bestimmte Busse gar nicht mehr. Nehmen Sie den Ort, wo unsere Kanzlerin ihren Ferienbungalow hat. Wer da wohnt, geht zwei Kilometer bis zur Bushaltestelle. In den Ferien fährt da nur ein-, zweimal am Tag ein Bus. Und wenn es Patienten zu einer bestimmten Zeit in die Sprechstunde schaffen, haben sie wahrscheinlich Schwierigkeiten, am gleichen Tag wieder nach Hause zu kommen.

Werden Sie mit dem, was Sie machen, belächelt oder bejubelt?

Ich bekomme sehr viel Post von Betroffenen und Angehörigen, die voller Dankbarkeit sind. Auf der anderen Seite aber haben meine eigenen Kollegen, als ich damit anfing, misstrauisch Konkurrenz gewittert. Die wussten genau, dass sie sich eigentlich selbst so etwas überlegen müssten.

Und warum machen sie das nicht?

Es ist einfach nichts, womit Sie reich werden. Es ist etwas, wo man bewusst sagen muss: Ich fühle mich nicht nur denen verpflichtet, die noch zu mir kommen können. Ich bin Kassenärztin, nicht die Mutter Theresa. Ich sehe einfach nur die Verpflichtung, für alle da zu sein. Ich bin da, vom Roller bis zum Rollator.

Viel ist die Rede davon, dass Menschen in gewissen Regionen das Gefühl haben, abgehängt zu sein. Erleben Sie das auch so?

Noch nicht. Ja, es ist schwieriger, hier zu leben. Vor allem ist es schwieriger, hier alt zu werden, weil viele Hilfsmittel und hochspezialisierte medizinische Geräte nicht in der Nähe sind. Noch ist die Versorgung okay. Aber in fünf Jahren weiß ich nicht, wie das werden soll. Viele werden aufhören, werden zu alt sein, ich sehe nicht, wie das Problem gelöst werden könnte.

© SZ vom 10.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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