Hauptstadt:Endstation Eberswalde

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Die Berliner behandeln ihren Nachbarn Brandenburg gerne herablassend. Doch die zunehmende Wohnungsnot treibt viele Hauptstadtbewohner nun in die Provinz.

Von Jens Schneider

Die Attraktion hört auf den Namen Eberswalde. Das klingt für manche Hauptstädter fast wie Finsterwalde, nach brandenburgischer Provinz. Dennoch entwickeln sich Eberswalde, wie auch Fürstenwalde oder Lübbenau zur Option für ein Leben nahe am Herzen der Weltmetropole. Das hübsche Eberswalde liegt eine gute halbe Bahnstunde von Berlins Mitte entfernt. Und es gibt dort, so hat der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen BBU vorgerechnet, alleine im Bestand 1600 freie Wohnungen, zu moderaten Preisen. BBU-Vorstand Maren Kern gab eine Empfehlung, die exotisch klingen mag, aber einem Trend folgt, der die Region massiv verändert: Wohnungssuchende sollen jetzt die "schmucken Städte" um Berlin für sich entdecken.

Der Platz in der ersten Reihe wird schon knapp. Berlin wächst mit Tempo an den Rändern, nach Brandenburg hin. Und das, obwohl hier zwischen Stadt und Umland das Verhältnis so schwierig ist wie in kaum einer anderen Region. Es ist seit der 1996 gescheiterten Fusion der beiden Länder eher schlimmer geworden. Während die Brandenburger sich von der Metropole oft mit Herablassung behandelt fühlen, brauchte Berlin sein Umland lange Zeit nicht - erst recht nicht zum Wohnen.

Die ersten großen Träume, dass Berlin nach 1989 bald schon fünf Millionen Einwohner haben würde, erwiesen sich in den Neunzigern als Illusion. Dafür wurde es ein Mieteridyll, es gab viele billige Wohnungen. Berlin hatte, als Folge der Teilung, eine niedrige Pendlerquote. Seit gut zehn Jahren ändert sich das. Erst ging es langsam, nun herrscht auf dem Wohnungsmarkt Knappheit. Berlin wuchs allein in den vergangenen drei Jahren um je 45 000 Einwohner, in diesem Jahr kamen 50 000 Flüchtlinge hinzu. Es gilt als sicher, dass in einigen Jahren die Vier-Millionen-Einwohner-Grenze erreicht wird.

Also geht es nach draußen. Die Brandenburger Regierung, die sich stets sorgte, dass das weite Land aussterben könnte, hat jetzt ihre Bevölkerungsprognose korrigiert. So dramatisch wird es mit dem Schrumpfen nicht. Aber das Wachstum ist ungleich verteilt. Die Peripherie verliert deutlich Einwohner. Der Speckgürtel wächst so sehr, dass die Straßen für Pendler und die Regionalzüge etwa aus Potsdam nach Berlin zu Spitzenzeiten längst an Grenzen stoßen. Seit dem Jahr 2000 stieg die Zahl der Pendler, die aus Brandenburg nach Berlin kommen, um 45 Prozent. Die Prognose geht davon aus, dass 2040 fast jeder zweite Brandenburger im Berliner Umland leben wird.

Inzwischen geht es auf dem Wohnungsmarkt in Potsdam und in angrenzenden Städten so eng zu wie in Prenzlauer Berg. Noch aber liegt der Pendleranteil in Berlin nur bei 21 Prozent, sehr deutlich zum Beispiel unter dem um München. Also kann die zweite Reihe entdeckt werden. "Rund um München oder Hamburg sind solche Pendlerwege völlig normal, auch innerhalb Berlins", erklärt der BBU. Es muss nicht Eberswalde sein, die Stadt Brandenburg an der Havel, einst als unwirtliche Stahlstadt bekannt, 45 Minuten Zugminuten entfernt, hat mehr als 2000 Wohnungen. Es gilt als Geheimtipp zum Wohnen am Wasser, für Berliner aber noch ganz weit weg.

© SZ vom 28.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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