Hartz-IV-Äußerungen:Mißfelders Missstände

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Die Attacken des JU-Chefs gegen Langzeitarbeitslose sind dumm. Die wahren Probleme des Sozialstaats liegen woanders. Darüber aber redet Mißfelder nicht.

Thomas Öchsner

Der Chef der Jungen Union, Philipp Mißfelder, hat wieder einmal ein Vollbad im Fettnapf genommen. Nachdem das CDU-Präsidiumsmitglied schon einmal künstliche Hüftgelenke für 85-Jährige in Frage stellte, ließ er nun wissen, dass die Erhöhung der Hartz-IV-Bezüge für Kinder zwischen sechs und 13 Jahren "ein Anschub für die Tabak- und Spirituosen-Industrie" sei.

Vollbad im Fettnäpfchen: JU-Chef Philipp Mißfelder. (Foto: Foto: AP)

Mißfelder erweckt damit den Eindruck, alle Langzeitarbeitslosen würden ihre Kinder schlecht behandeln und stattdessen rauchen und saufen. Das ist dumm und unerträglich. Trotzdem helfen die rituellen Proteste von Wohlfahrtsorganisationen nicht weiter. Besser wäre es, offen darüber zu diskutieren, was im Sozialstaat schiefläuft.

Ein Sprichwort besagt: "Kaum ist das Gesetz gemacht, fängt der Missbrauch schon an." Im Hartz-IV-System liegen die Missbrauchsquoten offiziell bei zwei bis drei Prozent - das sind diejenigen, die die Ermittler der Jobcenter bei Schummeleien ertappen, wenn sie in Schränke gucken oder Kontodaten prüfen. Tatsächlich dürfte die Missbrauchsquote größer sein. Praktiker wie der Bürgermeister des Berliner Problemviertels Neukölln taxieren sie "zwischen 15 und x Prozent", auch wegen der Schwarzarbeit.

Kontrollen sind deshalb richtig, auch wegen ihrer abschreckenden Wirkung. Am Missbrauch wird dies allerdings nichts ändern. Wo es um Geld geht, wird betrogen. Und in einem System, das jährlich 50 Milliarden Euro verteilt, werden bedürftige Menschen immer versuchen, jede Lücke und Möglichkeit zu nutzen, um möglichst viel Geld zu ergattern. Das ist ihr gutes Recht, und das muss ein Sozialstaat in Kauf nehmen. Doch dies ist auch nicht der Kern des Problems.

Hunderttausende Langzeitarbeitslose tun alles für eine feste Stelle. Aber es gibt auch welche, die lieber Hartz IV beziehen, als einen Job anzunehmen, weil sich das Arbeiten für sie kaum lohnt. Dies hängt damit zusammen, dass die Löhne für Tätigkeiten, für die keine oder nur eine geringe Qualifikation verlangt wird, stark gesunken sind. Und das spricht nicht für eine Senkung der knapp bemessenen Hartz-IV-Sätze, sondern eher für Mindestlöhne und einen Kampf gegen schlechtbezahlte Leiharbeit.

Besonders hilflos zeigt sich die Gesellschaft bei denjenigen, die ganz unten sind. Sie sind Hartz-IV-Dauerkunden, oft ohne Abschlüsse, unvermittelbar und ohne Aussicht, wieder hochzukommen. Sie glauben nicht mehr an sich selbst und haben sich in dem System eingerichtet. Ihre Kinder sagen auf die Frage, was sie einmal werden wollten: "Hartz IV". Und manche dieser Kinder haben tatsächlich nichts von höherem Sozialgeld, weil der Vater die paar Euro versäuft.

Deswegen alle Hartz-IV-Empfänger zu diskriminieren und ihnen nur noch Essensgutscheine auszuhändigen, ist aber falsch. Mit Ganztagssschulen, in denen es ein gesundes Essen gibt, wäre zumindest den Kindern geholfen. Davon gibt es in Deutschland viel zu wenige. Aber darüber hat Herr Mißfelder nicht geredet.

© SZ vom 23.02.2009/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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