Hans-Ulrich Klose zum Kaukasus:"Entweder Feinde oder Vasallen"

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SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose über Russlands Verhältnis zu seinen Nachbarn, die schwierige Mission der Bundeskanzlerin im Kaukasus-Konflikt und die aktuelle Zerreißprobe für das russisch-amerikanische Verhältnis.

Marcel Burkhardt

Hans-Ulrich Klose (SPD) ist stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages und Vorsitzender der Deutsch-Amerikanischen Parlamentariergruppe.

Im Kaukasus-Konflikt fordert Hans-Ulrich Klose von Russland und den USA ein Ende des verbalen Säbelrasselns und eine Rückkehr zu rationaler Kooperation. (Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Bundeskanzlerin Angela Merkel steht am heutigen Freitag vor einer schwierigen Mission. Was erwarten Sie von ihrem Gespräch mit Russlands Präsidenten Dmitrij Medwedjew über den Konflikt im Kaukasus?

Hans-Ulrich Klose: Zunächst ist es gut, dass dieses Gespräch überhaupt stattfindet. Ich gehe davon aus, dass die Kanzlerin die Bemühungen der EU verstärken wird. Es geht darum, wie die noch unsichere Waffenruhe im Südkaukasus dauerhaft werden kann, wie die Konflikte in der Region mit allen Beteiligten langfristig zu lösen sind und wie die dringend nötige Hilfe für tausende Flüchtlinge vorangebracht wird. Die EU hat in diesem Konflikt bisher eine angemessene, gute Rolle gespielt.

sueddeutsche.de: Es gibt aber auch kritische Stimmen: Der EU-Friedensplan sei so schwach wie der Vermittler Sarkozy, der in Moskau gesagt habe, was Medwedjew hören wollte - und in Tiflis verkündet habe, was Saakaschwili schmeichelte. Jetzt müsse Merkel zum Nachbessern hinterher reisen.

Klose: Ich glaube nicht, dass sie zum Nachbessern hinterher reist und finde im Übrigen die Kritik falsch. Immerhin war es so, dass die angeblich so schwache Europäische Union diejenige war, die eine Vereinbarung über eine Waffenruhe zustande gebracht hat. Eine Waffenruhe, die hoffentlich in einen richtigen Waffenstillstand einmündet. Es hat da eine gute, arbeitsteilige Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich gegeben. Ich sehe nicht ein, warum man die Franzosen jetzt rügen sollte.

sueddeutsche.de: Frankreichs Staatspräsident Sarkozy hat den Konfliktparteien in seiner Rolle als amtierender EU-Ratspräsident angeboten, Schutztruppen der EU nach Georgien und in das abtrünnige Südossetien zu senden ...

Klose: ...Das scheint mir etwas verfrüht zu sein. Dazu bedürfte es eines Mandates, insbesondere der Vereinten Nationen. Ich höre, dass die Franzosen dort einen Entschließungsentwurf vorgelegt haben. Was die EU betrifft, finde ich eine andere Frage wichtiger. Wir haben ja erkennbar die Situation, dass einige EU-Mitglieder - die Polen und die baltischen Länder, um einige zu nennen -, in Bezug auf Russland eine andere Bedrohungswahrnehmung haben als andere. Das ist ein Punkt, den man ernst nehmen muss - und verhindern, dass die EU in dieser Frage auseinanderfällt. Das würde die Gemeinschaft nachhaltig schwächen.

sueddeutsche.de: Russland scheint eine Loslösung der abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien vom Staat Georgien anzustreben. Meinen Sie, dass die Strategen in Moskau dieses Ziel jetzt noch härter verfolgen werden?

Klose: Zunächst haben die Russen das Ansinnen der Georgier akzeptiert, dass es keine internationale Diskussion über den künftigen Status von Südossetien und Abchasien geben solle. Einstweilen muss man festhalten, dass die Völkerrechtslage völlig eindeutig ist: Beide Gebiete - Abchasien und Südossetien - gehören völkerrechtlich zu Georgien. Dass es im Augenblick völlig undenkbar ist, über den künftigen Status der Gebiete zu reden, muss man verstehen. Aber die Frage ist offen.

sueddeutsche.de: Die fünf Kriegstage haben im Südkaukasus schwere Schäden angerichtet und viele unschuldige Zivilisten das Leben gekostet. Hätte der Westen Saakaschwili nach seinem harten Militärschlag in Südossetien nicht schneller zur Vernunft bringen müssen - und Georgien dann entschlossener verteidigen sollen?

Klose: Was meinen Sie mit dem Wort "verteidigen"?

sueddeutsche.de: Sofort energischer einschreiten und Russland zum Stopp der militärischen Aktionen in Georgien auffordern. Einige Kommentatoren sagen, Moskau habe "eine Mücke mit dem Vorschlaghammer erschlagen" ...

Klose: ...Wissen Sie, mein Problem ist - und das haben alle Kollegen, mit denen ich über den Konflikt spreche, für sich bestätigt -, dass wir wirklich zu wenig Informationen und ein unklares Bild haben. So können wir die Schuldfrage im Großen und im Detail nicht beantworten. Es scheint so zu sein, dass es zunächst in Südossetien Schießereien gegeben hat, die dann auf georgischer Seite dazu führten, dort massiv einzumarschieren - das hat dann zu einer Reaktion auf der russischen Seite geführt. Man sollte sich aber nicht auf der Grundlage von Spekulationen äußern. Das sind keine Fakten. Wir sollten uns im Augenblick darauf konzentrieren, die humanitäre Situation in dem Krisengebiet zu verbessern.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie belastbar das Verhältnis zwischen Georgiens Präsident Saakaschwili und US-Präsident Bush ist.

Reaktionen auf Kaukasus-Krieg
:Diplomatischer Eiertanz

Der Krieg im Kaukasus stellt Politiker vor die Frage: Welche Reaktion ist angesichts der verfahrenen Lage in dem Konfligt angemessen. Stimmen der internationalen Gemeinschaft in Bildern.

sueddeutsche.de: Auch nach der Waffenruhe zwischen Russland und Georgien gehen "ethnische Säuberungen" in der Provinz Südossetien offenbar weiter. Die finnische Chefin der OSZE-Mission (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in Tiflis, Terhi Hakala, sagte, sie bekomme "weiter beunruhigende Berichte von verschiedenen Seiten". Verfügen Sie über genauere Informationen?

Eine Bewohnerin der georgischen Stadt Gori ist verzweifelt. Ihre Wohnung wurde während eines russischen Bombardements zerstört. (Foto: Foto: AP)

Klose: Das ist angesprochen worden im Auswärtigen Ausschuss. Aber wir haben keine belastbaren Informationen darüber. Das ist ein großes Problem. Wir befinden uns im Augenblick in der Phase, dass von beiden Seiten der Versuch unternommen wird, den Krieg der Worte und Bilder zu gewinnen - aus jeweils innenpolitischen und internationalen Gründen. Es ist sehr schwierig, zu durchschauen, was da wirklich vor sich gegangen ist und vor sich geht. Ich glaube, auch die Bundesregierung hat noch immer kein völlig klares Bild.

sueddeutsche.de: Trotz seines Himmelfahrtskommandos in Südossetien und des verlorenen Kampfes mit Russland, der Georgien viel Leid gebracht hat, genießt Georgiens Präsident Saakaschwili bei US-Präsident Bush noch immer hohes Ansehen. Wie kommt das?

Klose: Saakaschwili hat in den USA studiert und hat von Anfang an einen guten Draht gehabt zu den Amerikanern. Die haben sich um Georgien sehr bemüht - und das wiederum in einer Weise, von der einige Beobachter sagen, das habe eher zum Verstärken der Spannungen als zu deren Minderung beigetragen.

sueddeutsche.de: Vor einigen Monaten wollte US-Präsident Bush sogar Georgien den Weg zur Nato-Mitgliedschaft bahnen. Ein schwerer politischer Fehler?

Klose: Es war jedenfalls richtig, im Zuge der Nato-Osterweiterung den Schritt der Aufnahme Georgiens in das Programm "Membership Actionplan" nicht zu machen; unter anderem wegen der ungelösten Konflikte. Stellen Sie sich mal vor: Georgien wäre heute Mitglied der Nato - dann hätten wir eine unmittelbare militärische Konfrontation zwischen Russland und der Nato.

Lesen Sie auf Seite drei, wie die USA und Russland miteinander um Respekt ringen und wie wichtig die Europäer als Vermittler zwischen den beiden Supermächten sind.

sueddeutsche.de: Der Konflikt im Südkaukasus hat inzwischen auch so zu einer ernsthaften Krise zwischen den Supermächten USA und Russland geführt. Ist das nur ein aktuelles Phänomen oder erwarten Sie einen neuen, jahrelangen Machtkampf zwischen Amerika und Russland?

Klose: Russland hatte seit längerer Zeit das Bestreben, sich als ernstzunehmende Großmacht zu etablieren. Das hat es jetzt dank günstiger Umstände - Stichwort Energiepreise - geschafft und ist jetzt eben aufgetreten wie eine Großmacht, die ernstgenommen werden will. Die USA leben seit der Zeitenwende 1989/90 unter der Rubrik "Einzig verbliebene Supermacht". Nun aber melden sich neben Russland auch die Chinesen und Inder mit Ansprüchen, Supermacht zu sein. Amerika hat erkennbare Schwierigkeiten, sich mit dieser Situation abzufinden - und hat deshalb im Verhältnis zu Russland öffentlich häufig eine Tonlage gebraucht, die aus russischer Sicht als demütigend empfunden wurde. Wir erleben eine Fortsetzung dieses Ringens um Respekt und Anerkennung, und es wäre sehr gut, wenn auf beiden Seiten verbal abgerüstet würde.

sueddeutsche.de: Aus Moskau kommt die Forderung, dass sich die USA bei ihrer Partnerwahl entscheiden müssten - zwischen Georgien oder Russland

Klose: Wenn man so will, hatte die Großmacht Russland - nicht erst die Sowjetunion - immer eine gewisse Tendenz: Ihre Nachbarn waren entweder Feinde oder Vasallen. Da gibt es eine historische Tradition, die natürlich nicht in die heutige Zeit passt.

Richtig ist, dass der Westen insgesamt ein Interesse daran hat, mit Russland partnerschaftlich zusammenzuarbeiten, weil wichtige politische Probleme nicht gelöst werden können ohne die konstruktive Mitarbeit der Russen. Nehmen Sie doch den Iran mit seinen nuklearen Ambitionen. Dazu kommt noch, dass es zwischen Europa und Russland wechselseitig starke wirtschaftliche Interessen gibt. Russland ist unser Nachbar, Russland ist ein großer Markt, Russland liefert in steigendem Umfang Energie. Anderseits sind die Europäer ein wichtiger Kunde Russlands und wir Deutschen das einzige Land, das bei der Modernisierung seiner Wirtschaft wirklich hilft. Diese Interessenlage ist dominant. Das heißt aber nicht, dass man Georgien fallen lässt. Aber man kann sich auch nicht in Konflikte hineinbegeben, deren Entstehung und Ausgang schwer einzuschätzen ist.

sueddeutsche.de: Die USA sehen das anders. Außenministerin Rice spricht von einer möglichen Isolierung Moskaus. Die Dinge lägen nicht mehr so wie 1968, als die Sowjetunion in der damaligen Tschechoslowakei einmarschierte, die dortige Regierung stürzte und damit einfach davongekommen sei. Das Vorgehen Moskaus werfe die Frage auf, ob Russland der passende Partner für eine Reihe von internationalen Gremien sei. Ist das nur verbales Säbelrasseln oder eine ernsthafte Drohgebärde?

Klose: In den USA ist Wahlkampf und die Aussage der amerikanischen Außenministerin ist eine Reaktion auf Fragen, wie wir sie vor allem von dem Republikaner McCain kennen, der schon auf der vorvorletzten Münchener Sicherheitskonferenz die Mitgliedschaft Russlands in der G8-Staatengruppe infrage gestellt hatte. Dieses Denken wird sich hoffentlich nicht durchsetzen in Amerika.

sueddeutsche.de: Sanktionen sind also aus Ihrer Sicht der falsche Weg?

Klose: Es wäre gut, wenn Russen und Amerikaner erkennen, dass eine rationale Kooperation für beide Seiten günstiger ist als eine Konfrontation, die zu nichts führt.

sueddeutsche.de: Und die Europäer sind gefragt als Vermittler zwischen den Supermächten?

Klose: Die Europäer, von denen immer gesagt wird, sie seien schwach und handelten mit Worten, haben sich jetzt als einflussreich gezeigt. Das lässt hoffen.

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