Gül soll Präsident werden:Eine kluge Wahl

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Der türkische Premier Erdogan lässt dem derzeitigen Außenminister bei der Wahl zum Staatspräsidenten den Vortritt. Die Entscheidung für Gül ist ein cleverer Schachzug - aus unterschiedlichen Gründen.

Kai Strittmatter, Istanbul

Zum Schluss war die Erleichterung gewaltig: Dass Erdogan seinem Außenminister Abdullah Gül den Vortritt lässt bei der Wahl zum neuen Staatspräsidenten der Türkei, ist eine der klügsten Entscheidungen seiner Amtszeit. Politische Vernunft hat gesiegt über persönliche Ambitionen.

Das Staatspräsidium ist nicht das mächtigste, aber das höchste Amt in der Republik, viele der wichtigen Politiker haben es als Höhepunkt ihrer Karriere verstanden. Die Verlockung für Erdogan war daher groß. Aber zu viel sprach dagegen. Erdogan mag der charismatischste Politiker der Türkei sein, doch er löst zugleich Zorn und Ängste aus wie kein anderer: Erdogan spaltet das Land.

Auch machtpolitisch war die Entscheidung für Gül ein cleverer Schachzug: Erstens hat sich der europafreundliche Gül im Ausland wie im Inland einen Ruf als liberaler und ausgleichender Politiker erworben. Und kaum etwas braucht die Türkei mehr, als dass sich die Konfrontation entschärft, die das Land beherrscht. Zweitens bestimmt in der Türkei der Premierminister und nicht der Präsident die tägliche Politik. Erdogan wird also weiterhin die Geschicke des Landes leiten; nebenbei hat er sich eines innerparteilichen Konkurrenten entledigt.

Drittens bewahrt Erdogan, der als Präsident seine Partei AKP hätte verlassen müssen, diese wohl vor einem Absturz bei den Parlamentswahlen im November. Für die AKP hätte Erdogans Rückzug bedeutet, dass sie bei den Wahlen Stimmen und vielleicht die absolute Mehrheit der Abgeordneten verloren hätte.

Warnungen der Wirtschaft

Vor allem die Wirtschaft fürchtete eine Kettenreaktion. Sie warnten vor einer Rückkehr zu den notorisch instabilen Koalitionsregierungen der Vergangenheit, was das Ende eines der größten Wirtschaftsaufschwünge der türkischen Geschichte hätte bedeuten können.

Manche befürchten, dass der Türkei wegen der neuen Machtfülle der AKP nun die Islamisierung droht. Es ist an Erdogan, zu zeigen, dass er es auch in Zukunft ernst meint mit seinem Bekenntnis zur säkularen Republik. Auch deshalb ist Abdullah Gül eine kluge Wahl: Mit Gül kann man keine Säkularen erschrecken - selbst wenn seine Frau ein Kopftuch trägt. Das tun zwei Drittel aller Türkinnen. Daran sollte sich die Opposition gewöhnen, die so schrill gegen den Einzug von Kopftüchern in den Präsidentenpalast polemisiert.

Es macht misstrauisch, wenn jene, die sich im Parlament die Säkularen und Sozialdemokraten nennen, Erdogan attackieren, weil er angeblich das Land an den Westen verkauft und die Republik an ihre Minderheiten. Es ist absurd, wenn die Opposition sagt, man müsse die Republik vor der Demokratie retten.

Sie bringt es nicht einmal fertig, einen eigenen Kandidaten für die Präsidentschaft aufzustellen. Erdogan und seine AKP sind nun so stark wie nie. Deshalb muss man ihnen auf die Finger schauen. Das Land braucht dringend eine anständige Opposition.

© SZ vom 25.04.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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