Grüne ohne Fischer:Ersatz für den Superstar

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Von den fünf Bewerbern um den Fraktionsvorsitz der Grünen gilt Renate Künast als Favoritin.

Robert Roßmann

Die Stellenbeschreibung steht bereits fest: Gute Redner sollen die beiden Neuen sein, die Attacke beherrschen, strategische Qualitäten besitzen und ein gutes Verhältnis zur Partei haben.

"Kein Fuß eines Menschen passt in den Fußabdruck eines andern." Künast über das Erbe Fischers. (Foto: Foto: dpa)

Außerdem müssen sie in der Fraktion verankert sein, wenigstens ein bisschen Charisma haben - und miteinander können. Zur Belohnung gibt's das doppelte Gehalt.

Bewerbungen sind zu richten an die grüne Bundestagsfraktion, Raum 3S037, Reichstag, Berlin. Entschieden wird am kommenden Dienstag um 15 Uhr.

Ausgeschrieben ist der Fraktionsvorsitz der Grünen. Anders als bei Union und SPD, die ihre Fraktionschefs gerade mit Honecker-Mehrheiten gewählt haben, ist das grüne Rennen offen. Fünf Kandidaten haben sich bereits erklärt.

Dabei liegt Joschka Fischers überraschender Rückzug noch keine 48 Stunden zurück. Überhaupt scheint es in Berlin keinen Grünen mehr zu geben, der seinen Tag nicht mit Spekulations-Telefonaten über die Nachfolge des Übervaters verbringt. Keine einfache Aufgabe.

"Fischer hat in der Geschichte der Grünen wahrscheinlich eine ähnliche Bedeutung wie Willy Brandt bei der SPD oder Konrad Adenauer in der CDU", sagt Parteichef Reinhard Bütikofer. Die Grünen müssten deshalb jetzt "ein Star ohne Superstar" werden, findet Daniel Cohn-Bendit. Nur Renate Künast relativiert das Problem etwas.

"Kein Fuß eines Menschen passt in den Fußabdruck eines andern", sagt die Verbraucherministerin - was auch daran liegen mag, dass sie eine der Nachfolge-Kandidatinnen ist.

Neben Künast treten Umweltminister Jürgen Trittin, Wahlkampfchef Fritz Kuhn und die beiden amtierenden Vorsitzenden Krista Sager und Katrin Göring-Eckardt an.

Über den Ausgang des Rennens lassen sich bisher eigentlich nur zwei Sachen sagen: Im Wahlgang für die erste Stelle, an dem nur Frauen teilnehmen dürfen, ist Künast klare Favoritin.

Und: Sollte Künast gewählt werden, hätte Trittin im zweiten Wahlgang keine Chance mehr. Das politische Spektrum der Kandidaten reicht von Trittin ("Regierungslinker") über Künast (früher mal Linke), Kuhn (Realo), Sager (extreme Reala) bis zu Göring-Eckardt (schon unter Schwarz-Grün-Verdacht). Trittin und Künast, das wäre ein zu linkes Doppel.

Dass Künast als Einzige so gut wie sicher dem neuen Führungsduo angehören wird, liegt vor allem an ihrer Popularität. Sie ist seit Jahren die nach Angela Merkel beliebteste Politikerin, inzwischen liegt sie vermutlich sogar vor der CDU-Chefin.

Künast hat allerdings nicht nur mit Schlagfertigkeit überzeugt, sondern auch als Ministerin. Ihr Einsatz für sichere Lebensmittel und Kinder kommt auch bei Konservativen gut an. Trittin steht mit seinem Ressort zwar ebenfalls für eine Kernkompetenz der Grünen, ist auch ein guter Redner und zudem ein exzellenter Stratege.

Neben Künast könnte am ehesten Kuhn Platz nehmen

Trotzdem hat der Umweltminister lediglich Außenseiter-Chancen. Das liegt nicht nur am Künast-Trittin-Problem. Der Minister gilt in der Partei nicht gerade als Integrationskünstler - und seine Linken haben in der Fraktion keine eigene Mehrheit. Manch Obergrüner schmäht seine Bewerbung deshalb bereits als "Chaoskandidatur".

Die größten Chancen, neben Künast Platz zu nehmen, hat Fritz Kuhn. Der Wahlkampfchef kann auf das gute Resultat am Sonntag verweisen. Außerdem ist er neben Trittin einer der besten Strategen der Partei, reden kann er auch. Und vor allem: Der Fischer-Freund versteht sich am besten mit Künast. Die beiden haben als Bundesvorsitzenden-Duo die Partei schon einmal in schwieriger Situation vorangebracht.

Sager und Göring-Eckardt könnten Kuhn allerdings einen Strich durch die Rechnung machen. Zwar sind beide bisher nicht durch herausragende Reden im Bundestag aufgefallen. Dafür haben sie in den vergangenen drei Jahren ihre Arbeit gut gemacht.

Rückgrat gegen übermächtige Männer

Sager hat dabei Rückgrat bewiesen, auch gegen übermächtige Männer wie Fischer und Schröder. Sie war Bundesvorsitzende, kennt also auch die Partei gut. Außerdem gilt sie als integer und loyal. Allerdings werden die Grünen die nächsten vier Jahre vermutlich in der Opposition sitzen, da bedarf es eher Angriffsqualitäten.

Das gilt auch für Göring-Eckardt. Die Thüringerin setzt deshalb vor allem auf zwei Besonderheiten: ihr Alter und ihre Herkunft. Die Grünen haben am Sonntag im Westen verloren, aber im Osten gewonnen.

Ihre Kandidatur sei da nur zwangsläufig, findet Göring-Eckardt. Sie kommt außerdem auch in nicht klassisch grünen Milieus sehr gut an. Außerdem dürften die Grünen keine "Eingenerationen-Partei" werden, findet die 39-Jährige. Ihre Konkurrenten sind 49, 50, 51 und 52. Eigentlich auch kein Alter.

Und so steht bisher bei den Grünen nur eines fest: Die Wahl der Fraktionschefs wird keinen Einfluss auf den Koalitions-Kurs haben. "Jamaika" lehnen alle Kandidaten ab, und eine Ampel würde der Widerstand der Basis verhindern.

© SZ vom 22.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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