Große Koalition in Finanznot:Im Haushalt fehlen 70 Milliarden Euro

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Die Lücke habe sich durch die teuren Vorschläge der Arbeitsgruppen verdoppelt, hieß es in Verhandlungskreisen. Dieses dramatische Defizit wirkt sich auch auf die Renten aus.

Ulrich Schäfer

Am Donnerstag berieten die Parteispitzen erneut über Einschnitte und Steuererhöhungen. Danach informierten die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und der designierte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) EU-Währungskommissar Joaquin Almunia über die Sparpläne. So sollen die Renten bis 2009 nicht erhöht werden.

Merkel räumte auf dem Arbeitgebertag in Berlin ein, dass Union und SPD mehr Geld fehlt als erwartet. Der bisher bekannte Betrag von 35 Milliarden Euro im Bundeshaushalt beruhe auf optimistischen Annahmen, sagte die designierte Kanzlerin.

So sei die Wachstumsprognose für 2006 nicht gesichert. Auch die Annahme, dass nächstes Jahr 200.000 sozialversicherungspflichtige Jobs entstehen, sei großzügig. Über die Finanznot beriet Merkel danach in einer siebenköpfigen Spitzenrunde beider Seiten. Die Haushaltssanierung sei eine "Schicksalsfrage", sagte sie.

An dem Treffen nahm erstmals der künftige SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck teil. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, der mit der Landtagsfraktion den Papst besuchte, wurde durch den designierten Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) vertreten.

Treffen mit Almunia

Die Runde wollte auch über die zahlreichen Vorschläge der 16 Arbeitsgruppen beraten. Nach internen Berechnungen summieren sich die Wünsche auf etwa 35 Milliarden Euro.

Will die Koalition alle umsetzen, müsste sie in den nächsten beiden Jahr doppelt so viel Geld einsparen wie zunächst geplant. "Dann würde es auf keinen Fall ausreichen, die Mehrwertsteuer nur von 16 auf 18 Prozent zu erhöhen", hieß es in Verhandlungskreisen.

Den Berechnungen zufolge würden die verbesserten Abschreibungsregeln für Unternehmen mit vier Milliarden Euro zu Buche schlagen und die einfachere Buchführung für Kleinbetriebe mit 7,4 Milliarden.

Etwa 7,5 Milliarden Euro würden die veränderten Zahlungsmodalitäten bei der Mehrwertsteuer für Handwerker und Mittelständler kosten - wenn auch nur einmalig im Jahr der Umstellung.

Dauerhaft drei bis vier Milliarden Euro kostet der erhöhte Kinderfreibetrag, den die Union durchsetzen will. Vergleichsweise gering sind die zusätzlichen Kosten durch das Elterngeld (800 Millionen).

Auch die neue Prognose der Steuerschätzer hilft der Koalition kaum weiter: Die Mehreinnahmen von drei Milliarden Euro für 2006, die die Experten errechnet haben, fließt fast ausschließlich den Kommunen zu.

Renten werden nicht erhöht

Steinbrück und der Chef-Haushälter der Union, Hessens Ministerpräsident Roland Koch, haben zudem Mühe, die erhofften Einsparungen durchzusetzen. Koch deutete am Dienstag auf einer Sitzung der Unionsfraktion an, dass allein bei der Arbeitsmarktreform Hartz IV die Kosten um bis zu fünf Milliarden Euro gesenkt werden müssten.

Müntefering erklärte jedoch am Mittwoch, die Einsparmöglichkeiten seien begrenzt. Der Missbrauch bei Hartz IV sei bei weitem nicht so groß, wie zuletzt von einigen dargestellt. Die von ihm geleitete Arbeitsgruppe rechnet nur mit Kürzungen von 1,8 Milliarden Euro.

Zugleich kündigte Müntefering an, dass die schwarz-rote Koalition die Rente in den nächsten vier Jahren nicht erhöhen kann. "Steigen tut sie nicht", sagte der künftige Sozialminister auf dem Arbeitgebertag.

CDU-Chefin Merkel warnte, in der Rentenversicherung drohten 2007 wieder steigende Ausgaben.

Die Sozialpolitiker beider Seiten wollen daher den Steuerzuschuss an die Rentenkasse um zwei bis drei Milliarden Euro erhöhen.

Die Haushaltspolitiker von Union und SPD erwägen stattdessen, den Rentenbeitrag von 19,5 Prozent von 2007 an um zwei oder drei Zehntelprozentpunkte zu erhöhen.

Merkel bekräftige, dass die von ihr geführte Regierung im übernächsten Jahr auf jeden Fall wieder die Schuldengrenze des europäischen Stabilitätspakts einhalten wolle.

Darüber sprachen die CDU-Vorsitzende und Steinbrück am Nachmittag auch mit EU-Währungskommissar Almunia. In dem kurzfristig anberaumten Treffen am Militärflughafen Berlin-Tegel wollten sie ausloten, ob die EU-Kommission ihnen ein Jahr mehr, also bis 2007, Zeit gibt, um das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialkassen wieder unter die Marke von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken.

© SZ vom 4.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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