Große Koalition:In der Pflicht

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Das Klima der Koalition verschlechtert sich immer mehr: SPD und Union spielen mit dem Ende ihres Regierungsbündnisses - ohne eine Alternative zu haben.

Nikolaus Piper

Die Union sei "ungeübt" im Regieren, sagt der SPD-Vorsitzende Kurt Beck. Wohl wahr, wer wollte nach dem Elend mit der Gesundheitsreform auch anderes behaupten? Nur trifft dieses Verdikt eben die ganze Koalition. Weder CDU und CSU noch SPD haben bisher das ungeliebte Mandat wirklich angenommen, das ihnen die Wähler im vergangenen Jahr erteilt haben. Zwar sehen die Sozialdemokraten derzeit viel besser aus als Merkel, Stoiber und der Club der Unions-Ministerpräsidenten. Aber für den Ernstfall, den Bruch der Koalition, steht die SPD ebenfalls ohne Alternative da.

Wer die jetzige mit der ersten großen Koalition von 1966 vergleicht, der stößt auf Merkwürdiges. Ideologisch stehen sich Union und SPD heute viel näher als seinerzeit. In den Sechzigern und Siebzigern hatten die beiden Lager völlig divergierende Leitbilder für Wirtschaft und Gesellschaft.

SPD nimmt Merkel vor eigenen Leuten in Schutz

Trotzdem bewältigten Karl Schiller (SPD) und Franz Josef Strauß (CSU) ein riesiges Programm zur Modernisierung der Wirtschaftspolitik. Wer dagegen heute Texte von Kurt Beck und Jürgen Rüttgers zur sozialen Marktwirtschaft liest, der tut sich schwer, Unterschiede von Belang zu finden. Doch bei Themen wie der Gesundheit verhaken sich beide Seiten hoffnungslos in Details, teils wesentlicher, teils symbolischer Natur. Heraus kommt ein Ergebnis, mit dem auch von den Beteiligten niemand zufrieden ist. Das offenbart mangelnden politischen Willen und mangelnde Staatskunst.

Den Sozialdemokraten macht es erkennbar Spaß, die Kanzlerin vor ihren eigenen Leuten in Schutz zu nehmen. Derlei Lob ist - natürlich - vergiftet, denn es schwächt die Position der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel. Bis 2009 aber wird die SPD ebenso mit Roland Koch und Günther Oettinger leben müssen wie die Union mit Andrea Nahles. In einer Koalition lassen sich Gegensätze im jeweils anderen Lager nur bis zu einer gewissen Grenze ausbeuten.

Gute Rahmenbedingungen für Reformen

Die Handelnden in Berlin sollten auch nicht vergessen, dass bei der Reform des deutschen Sozialstaats, seiner Anpassung an eine Umwelt, für die er ursprünglich nicht gemacht war, die gesamte politische Klasse in der Pflicht ist. Scheitert das Projekt, dann schwindet auch deren Legitimität.

Schwarz-Gelb hat sich am Ende der Ära Kohl daran schon versucht, Rot-Grün ebenfalls und wurde dafür abgewählt. Schwarz-Rot ist alles andere als eine Idealbesetzung für Reformen, aber das Bündnis der beiden Volksparteien sollte sich wenigstens durch ein Stück Professionalität bei der Kompromissfindung auszeichnen. Und die Zeit drängt. Derzeit wächst die Wirtschaft so schnell wie seit fünf Jahren nicht mehr, die Rahmenbedingungen für Reformen sind also ungewöhnlich gut, aber niemand weiß, wie lange sie es bleiben werden.

Für die Gesundheitsreform bedeutet das ganz konkret: Ein Kompromiss wird wenig Chancen haben, wenn er nicht wenigstens das Minimalziel erreicht: sinkende Beiträge.

© SZ vom 9. Oktober 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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