Große Koalition:Harmonie ist, wenn es trotzdem kracht

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In der großen Koalition zeichnen sich erste Bruchstellen ab, und das nicht nur zwischen den beiden Parteien.

Christoph Schwennicke und Jens Schneider

Es sind Tage der Trugbilder in Berlin, Bilder, von deren erster Anmutung man sich nicht täuschen lassen sollte. Im Berliner Dom zum Beispiel, da saßen die Protagonisten dieser immer noch jungen großen Koalition in andächtiger Eintracht beisammen, doch was dieses harmonische Bild erzeugte, war die parteiübergreifende Trauer um Alt-Bundespräsident Johannes Rau. Hinterher dann hatte Trauerfeier-Besucherin Angela Merkel mit dem Trauergast Matthias Platzeck ein bisschen was klarzuziehen.

Oder der Neujahrsempfang der SPD-Bundestagsfraktion am Abend zuvor. Der Fraktionsvorsitzende Peter Struck stand da auf der Bühne, begrüßte seinen Spezialfreund Volker Kauder besonders überschwänglich. Franz Müntefering empfing die Gäste von der Union als "unsere schwarzen Brüder".

Der Applaus aber war bestenfalls plätschernd, und als Struck auch noch den CSU-Vormann Peter Ramsauer als Stargast unter den roten Fraktionären begrüßte, da konnte man hinten Volker Kauder bereits wieder Richtung Aufzug und Ausgang rasen sehen, eine Aktenmappe unter dem Arm, die er so fest gegen die Brust drückte wie seine Lippen aufeinander.

SPD-Vizekanzler Müntefering rechnet gerne in Kalenderwochen, und so gesehen darf man getrost Kalenderwoche sechs als den Anfang vom Ende der Phase eins dieser zweiten großen Koalition der Bundesrepublik betrachten. Es hat sich erkennbar ausgekuschelt zwischen Schwarz und Rot, was sich auch an Münteferings Worten beim Neujahrsempfang ablesen ließ, als er seine Parteifreunde daran erinnerte, "wie das 1966 war".

Ein kleines Tänzchen

Da habe es einen "König Silberlocke" gegeben, der sehr bald im Ausland angesehen gewesen sei, aber um die soziale Gerechtigkeit im Lande habe sich die SPD gekümmert. Mit etwas Geschichtswissen ließen sich aus Münteferings Worten zwei Dinge ableiten, erstens: Er meinte mit Silberlocke Kanzler Kurt Georg Kiesinger (der freilich "Häuptling Silberzunge" gerufen wurde).

Und er spielt zweitens mit dieser Reminiszenz darauf an, dass auch Angela Merkels Höhenflug, ausgelöst durch ihre diversen Auslandseinsätze, alsbald einem Ende entgegengehen wird.

Es hat schon vorher Scharmützel gegeben, ganz klar, aber die Streitereien zwischen den schwarz-roten Pärchen haben eine neue Ebene erreicht. Bisher haben sich zum Beispiel die Minister Peer Steinbrück und Ursula von der Leyen ums Elterngeld gestritten, was von daher in der Natur der Sache liegt, dass das Elterngeld einerseits mit Eltern (von der Leyen) und andererseits mit Geld (Steinbrück) zu tun hat.

Ein kleines Tänzchen haben auch CSU-Minister Michael Glos und SPD-Minister Sigmar Gabriel um die Atomkraft gewagt, doch auch das lag unterhalb einer gewissen Reizschwelle.

Von der vorangegangenen Koalition und ihren gefühlten 846 Koalitionskrisen hieß es immer, dass es entscheidend gewesen sei, ob sich Gerhard Schröder und Joschka Fischer in den Streit ziehen ließen. Den entsprechenden Schwellenwert in dieser großen Koalition definieren vor allem Angela Merkel und Franz Müntefering - aber auch SPD-Chef Matthias Platzeck. Und in dieser Ménage à trois wird es im Moment ungemütlicher.

Und unübersichtlicher. Denn einerseits reiben die Kontinentalplatten Union und SPD stärker als bisher aneinander, zum anderen reiben sich auch Müntefering und Platzeck aneinander. Am drastischsten wurde das sichtbar am Thema Rente mit 67, bei dem Matthias Platzeck als Nachfolger Münteferings im Amte des SPD-Vorsitzenden zum ersten Mal gegen den Alten aufbegehrte.

Der wiederum revanchierte sich im SPD-Präsidum am Montag und sprach, angesichts der Debatte, von Kreisliga in der SPD, und beim Neujahrsempfang rieb er der Partei unter die Nase: "Was die SPD wert ist, muss sie in dieser Koalition zeigen. Wer, wenn nicht diese Koalition, kann die großen Probleme lösen. Lasst uns über die großen Aufgaben reden und nicht kleinkarierte Streitereien."

Das war ein Hinweis darauf, wer in der SPD derzeit den Takt gibt: der Vizekanzler nämlich. Es finden sich nun in der SPD zwei Denkschulen bei der Betrachtung ihrer Doppelspitze. Die einen sagen, Müntefering wisse um seine Rolle als Patriarch und spiele sie eben drum nicht aus gegen Platzeck. Die andere Schule teilt nur Teil eins der Analyse.

Klar ist aber, dass sich Müntefering mit seiner Adhocerie zur Rente in der eigenen Partei keine zusätzlichen Freunde gemacht hat. Peter Struck, der Fraktionsvorsitzende, war genauso überrumpelt wie der Parteichef selbst. Noch am Mittwoch grummelt ein namhafter Sozialdemokrat in Berlin etwas davon, das sei schlecht vorbereitet gewesen. "So was darf nicht oft vorkommen."

Angesichts dieses Brodelns bei den Sozialdemokraten erscheint die Spitze der Union fast erschrocken. So muss es Jungverheirateten in einer schnell zu Stande gekommenen Ehe ergehen, die den Gefühlshaushalt des halbfremden Partners noch nicht einschätzen können. Irritiert fragt sich die Union, wie weit es her ist mit dem Vertrauen zwischen Müntefering und Platzeck. Wie groß die Irritation ist, lässt sich daran ablesen, dass besonders jene große Zurückhaltung üben, die es sonst als ihre Pflicht ansehen, zu sticheln.

Sogar CSU-Landesgruppenchef Ramsauer, der sich als Nachfolger des bärbeißigen Michael Glos dringend als neuer bayerischer Grizzly in Berlin etablieren muss, mag nicht. "Da hat unser Freund Franz Müntefering schon Probleme genug mit seinen Genossen", sagt er und verzichtet ausnahmsweise auf ein temperamentvolles Statement, "ich möchte ihm das Leben nicht noch schwerer machen." Und freimütig bekennt Ramsauer: "Sie merken, ich versuche das runterzufahren..."

Ramsauer wüsste gewiss einiges vom Grummeln in der Union zu erzählen. Doch ihm ist auch aufgefallen, wie gereizt die SPD schon auf Meldungen reagiert hat, die Kanzlerin habe sich intern über den SPD-Chef beklagt. Und wie heftig SPD-Generalsekretär Hubertus Heil angesprungen ist auf einige vornehm vorgetragene, aber spitze Bemerkungen des Parlamentarischen Geschäftsführers Norbert Röttgen, die sich gegen Platzeck richteten.

Das Ende der Flitterwochen zeige an, so heißt es in der Union, dass es ernst wird. Mit mulmigen Vorahnungen blickt man den nächsten Wochen entgegen, in denen der Bundeshaushalt gezimmert werden muss und echte Konflikte unausweichlich sein werden. In die Bewährungsprobe will man eigentlich unbelastet gehen.

Da würde es nicht überraschen, wenn die Kanzlerin tatsächlich, wie erzählt wird, SPD-Chef Platzeck in einem Friedensgespräch erklärt hat, dass sie sich nie über ihn beklagt habe - jedenfalls nicht über ihn persönlich.

© SZ vom 9.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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