Große Koalition:Erloschene Liebe

Lesezeit: 4 min

SPD-Chef Franz Müntefering, einst politischer Kuschelpartner der Kanzlerin in der großen Koalition, will Angela Merkel nun vom Sockel holen. Mit seiner Kritik trifft er einen Nerv.

G. Bohsem, S. Braun und N. Fried

Im Februar 2006, die große Koalition war noch jung, da hat Franz Müntefering sein Verhältnis zu Angela Merkel so beschrieben: "Ich bin sicher, wir haben beide das Talent, innerhalb von zwei Tagen den größten Krach vom Zaun zu brechen - wenn es denn sein müsste. Aber muss ja nicht."

SPD-Chef Franz Müntefering und Kanzlerin Angela Merkel (Foto: Foto: dpa)

Damals war Müntefering noch Vizekanzler und Arbeitsminister. Niemand in der SPD stand wie er für die große Koalition. Drei Jahre später hat Müntefering entschieden: Jetzt muss es sein. Er ist nicht mehr in der Regierung, sondern wieder Parteichef. Er steckt nicht in der Kabinettsdisziplin.

Sechs Monate vor der Wahl hat er nun einen großen Krach vom Zaun gebrochen, kalkuliert, mit voller Absicht. Es geht darum, die Kanzlerin in der Regierungsarbeit immer wieder als schwach und unentschlossen hinzustellen. Sie soll nicht über der Koalition schweben, sondern reingezogen werden ins Getümmel und sich darin aufreiben. "Wenn Krach da ist, muss man ihn aushalten und Honig daraus saugen", hat Müntefering 2006 auch gesagt.

Auch andere Sozialdemokraten mosern an Merkel herum, Minister wie Olaf Scholz, auch Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, wenn auch lieber indirekt. Aber keiner tut es mit der Härte und Ausdauer wie Müntefering.

Merkel kämpfe nicht um ihre Überzeugungen, wie es Gerhard Schröder getan habe, lautet jetzt der Vorwurf. Gleich zweimal hat Müntefering die Kanzlerin mit dem Vorgänger verglichen. Außerdem will er auf dem rechten Flügel der Union ein Komplott ausgemacht haben: Fraktionschef Volker Kauder bereite einen Putsch gegen Merkel vor, teilte der Parteichef seinen Abgeordneten mit.

Nun kann man in der Union deutlich spüren, dass Müntefering einen Nerv trifft. Der SPD-Chef, das merken alle in der CDU-Spitze, "will Merkel vom Sockel holen", wie es ein langjähriger Begleiter der Kanzlerin ausdrückt. Müntefering weiß längst, dass in der CDU-Zentrale eines feststeht: Merkel, die Kanzlerin, soll die Zugmaschine der Union für die Bundestagswahl werden.

Wahlprogramm hin, Abstand zur eigenen Partei her - die Regierungschefin soll der entscheidende Trumpf sein. "Wir werden aus der Wahl ein Kanzlerin-Plebiszit machen", heißt es unter Merkel-Vertrauten.

Das aber kann nur funktionieren, wenn Merkel bis auf die Zielgerade als seriöse Regierungschefin auftritt. Kein böses Wort gegen die andere Seite darf es geben. Und das schafft für sie ein Problem erster Güte.

"Merkel und die CDU müssen einen gewaltigen Spagat aushalten", sagt einer aus der Fraktionsspitze. "Während unsere Leute nach Attacke dürsten, pflegen Kanzleramt und CDU-Zentrale das Image der Seriösen. Beide Bedürfnisse kann sie nicht zeitgleich bedienen."

Merkels Aufgabe ist also nicht einfach, zumal dann nicht, wenn sie wie zuletzt mit den Äußerungen zum Papst und dem langen Schweigen zu den Attacken auf Erika Steinbach Zweifel an ihrer Grundlinie auslöst. Sie muss gerade die konservativeren Kreise für sich zurückgewinnen, darf aber das einfachste Mittel zum Schließen der eigenen Reihen nicht verwenden: den Gegenangriff. Stattdessen muss sie Kanzlerin bleiben, drüber stehen, so gut es geht.

Zum Beispiel am Dienstagabend in der katholischen Akademie zu Berlin. Merkel war schon öfter hier. Bei ihrem letzten Auftritt 2002 diskutierte sie über die Frage "Wie christlich ist die CDU?". Auch das wäre natürlich ein Thema für diesen Abend, seit ihrer Papst-Kritik hat sie mal wieder mit dieser Frage zu kämpfen, sie ganz persönlich.

An ihr Drehbuch für die nächsten Wochen hält sie sich trotzdem. Keine Angriffe gegen niemanden, stattdessen erhalten die Gäste einen seltenen Einblick in das Seelenleben der Kanzlerin. Merkel offenbart ihre spirituellen Wurzeln und ihr politisches Credo. "Mein christliches Bild vom Menschen ist mein Leitfaden." Der Mensch sei zwar nach Gottes Bild geschaffen, aber längst nicht perfekt.

Franz Müntefering
:Der Vollblut-Politiker

Der politische Spannungsbogen des Franz Müntefering reicht weit: Er wurde als Koordinator gefeiert oder als Kritiker gehasst. Nun wird er 70 Jahre alt. Eine Karriere in Bildern.

Die gelernte Physikerin bekennt sich dazu, beim Regieren nicht immer alles bis ins Letzte durchzudenken, sondern auch auf Gottvertrauen zu setzen. Und sie bekennt sich zur großen Koalition. Viele Menschen hätten sich von ihr versprochen, die großen Probleme zu lösen: "Wir schaffen nicht alles, aber wir haben manches geschafft."

Die Zeiten sind vorbei. Mit Härte und Ausdauer mosert Franz Müntefering jetzt an Angela Merkel herum. (Foto: Foto: dpa)

Überhaupt, wichtig werde es später: "Ich bin keine Historikerin, aber ich denke, die Koalition wird besser wegkommen als in der derzeitigen Diskussion." Und sie persönlich auch - aber das sagt sie natürlich nicht. Gelassenheit will sie ausstrahlen: Frau Unaufgeregt lässt sich nicht kirre machen.

Drei Tage später geben ihr neue Umfragen recht: Im Politbarometer bleibt Merkel die populärste Politikerin, im direkten Vergleich zu ihrem Herausforderer Steinmeier liegt sie praktisch überall vorn, auch in der Frage der Durchsetzungsfähigkeit sehen 41 Prozent Merkel gegenüber Steinmeier (17 Prozent) in Führung. Merkel als Kanzlerin wollen 57 Prozent (plus 2), Steinmeier wollen 26 (minus 4).

Es sind diese Umfragen, die der CDU trotz der Unsicherheiten der vergangenen Wochen etwas Ruhe schenken. Zumal mancher bei Münteferings härtesten Angriffen auf Merkel Fehler ausgemacht haben will. Drei Jahre lang hat sich zum Beispiel Fraktionschef Volker Kauder geärgert, wenn er wegen seiner Loyalität zu Merkel verspottet und karikiert wurde. Jetzt soll er plötzlich eine Gefahr für die Kanzlerin sein? Von "Muttis Jungen" zum Putschisten? Darüber könne Kauder nur lachen, heißt es in seinem Umfeld.

Fast noch freudiger wird über Münteferings Sehnsucht nach Schröder gelästert. "Wenn er sich Steinmeier zum Kanzler gewünscht hätte, wäre das plausibel gewesen. Aber wer nach Schröder ruft, signalisiert nur, dass er seinem eigenen Kanzlerkandidaten genau das nicht zutraut", heißt es in der CDU-Spitze.

Jenseits dieser Rhetorik aber spüren sie dort auch, dass die eigene Mannschaft verunsichert ist. Die größte Erschütterung löste der Zusammenstoß der CDU-Ministerpräsidenten mit der Unionsfraktion vergangene Woche aus. "Das war der Supergau", meint einer aus der Fraktionsspitze, halb stolz, halb zu Tode erschrocken. "Wenn es gut für uns läuft, dann war der Krach so schlimm, dass alle begreifen, wie wichtig es ist, dass wir uns zusammenraufen."

Tatsächlich kam es an dem Tag, als der Krach um die Jobcenter die Aufmacher der Zeitungen schmückte, zu einem Krisentreffen im Kanzleramt. Merkel hatte die Chefs der CDU-Landesgruppen in der Fraktion zu sich geladen. "Wir hatten dicke Muskeln, weil wir es den MPs mal gezeigt hatten", berichtet ein Teilnehmer. "Und wir hatten den Schreck in den Gliedern, weil wir wussten, dass die Sache verheerende Folgen haben konnte."

Die Aussprache sei "lang und sehr klar" gewesen. Ein Kurzvortrag von Generalsekretär Ronald Pofalla zur Wahlkampfstrategie soll bei manchem "ein gewisses Entsetzen" ausgelöst haben wegen der bislang dürftigen Vorbereitung. Insgesamt aber endete das Treffen mit einem Gelübde: "Wir haben uns in die Hand versprochen, dass wir alle ab jetzt für ein Ende der Debatte, für Merkel und für die CDU werben", berichtet einer. "Aber erst nach Ostern werden wir wissen, ob das Versprechen was wert war."

© SZ vom 28.03.2009/liv - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: