Großbritannien:Zugbrücke oben

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Der Auftritt im Innenministerium war Camerons erste programmatische Rede nach seiner Wiederwahl. (Foto: Reuters)

Der britische Premier Cameron umreißt zu Beginn der neuen Amtszeit seine Einwanderungspolitik.

Von Christian Zaschke, London

Den Tag für seine erste programmatische Rede nach seiner Wiederwahl hatte David Cameron bewusst gewählt. Am Donnerstag hat das Nationale Statistikamt die neusten Einwanderungszahlen veröffentlicht, und der britische Premierminister wusste, dass die Zahlen peinlich für ihn sein würden. Vor der Wahl im Jahr 2010 war eines von Camerons zentralen Versprechen, dass er die Zahl der Einwanderer auf unter 100 000 senken werde. Tatsächlich aber ist sie kontinuierlich gestiegen.

Im Jahr 2014 sind, wie das Statistikamt nun mitteilte, 641 000 Menschen ins Vereinigte Königreich eingewandert, während 323 000 Menschen die Insel verließen, was eine Netto-Einwanderung von 318 000 bedeutet. Diese Zahl liegt nur knapp unter der bisherigen Rekordmarke: 2005 waren netto 320 000 Menschen nach Großbritannien eingewandert, die meisten aus Osteuropa. 2010 hatte Cameron gesagt, wenn er sein Versprechen nicht halte, die Einwanderung drastisch zu reduzieren, sollten ihn die Wähler "aus dem Amt werfen". Vor zwei Wochen wurde er mit absoluter Mehrheit als Premierminister wiedergewählt, doch die am Donnerstag veröffentlichten Zahlen sind eine Erinnerung daran, wie weit Cameron davon entfernt ist, sein Versprechen zu erfüllen.

Nicht nur aus der EU kommen viele Arbeitskräfte auf die Insel, auch von außerhalb

Der Premier hatte daher beschlossen, in die Offensive zu gehen. In einer Rede im Innenministerium sagte er, seine Regierung werde die Kontrolle über die Einwanderung gewinnen und es insbesondere illegalen Einwanderern erschweren, im Land zu arbeiten. Cameron kündigte an, in seiner Regierungserklärung in der kommenden Woche einen Gesetzentwurf vorzustellen, der es für illegale Einwanderer und Menschen, deren Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, strafbar macht, in Großbritannien zu arbeiten. Ebenso soll es künftig für Arbeitgeber strafbar sein, illegale Einwanderer zu beschäftigen.

Als besonders abschreckend soll wirken, dass die Behörden künftig die Löhne von illegalen Einwanderern pfänden können. Es gilt allerdings als unsicher, wie das praktisch umgesetzt werden soll, da Schwarzarbeiter in der Regel bar bezahlt werden und offenkundig von keinerlei Abrechnungssystem erfasst werden. Des Weiteren gibt es keine verlässlichen Angaben darüber, wie viele illegale Einwanderer sich überhaupt im Land befinden. Das Innenministerium schätzte die Zahl im Jahr 2012 auf 618 000, räumte aber ein, dass es auch deutlich mehr oder deutlich weniger sein könnten. Wie viele von ihnen arbeiten, ist ebenso unklar.

Bisher war das Innenministerium davon ausgegangen, dass die steigenden Einwanderungszahlen vor allem am Zuzug aus EU-Mitgliedsstaaten liegen, was wegen der Freizügigkeit innerhalb der Union nicht zu ändern ist. Die jüngsten Zahlen zeigen jedoch, dass auch die Zuwanderung von außerhalb der EU stark zugenommen hat. Die meisten Einwanderer kamen, um zu arbeiten. Lediglich 25 020 von ihnen beantragten Asyl. Cameron sagte: "Ein starkes Land ist keines, das die Zugbrücke hochzieht, sondern eines, das die Einwanderung kontrolliert. Unkontrollierte Einwanderung gefährdet unseren Arbeitsmarkt und drückt die Löhne. Das britische Volk will, dass das geregelt wird."

Gefragt, ob sein Ziel weiterhin sei, die Netto-Einwanderung auf unter 100 000 zu drücken, sagte der Premier: "Wir könnten aufgeben und die Sache vergessen. Aber das ist nicht meine Herangehensweise." Unter Experten gilt die Zahl als unrealistisch. Madeleine Sumption, Direktorin der Migrations-Beobachtungsstelle der Universität Oxford, warnte zudem davor, dass Camerons Vorhaben, die Zahl unbedingt senken zu wollen, zuerst dazu führen werde, dass deutlich weniger Fachkräfte von außerhalb der EU ins Land kämen, die relativ niedrige Löhne erhalten. Und das wiederum seien in erster Linie Krankenschwestern und Pfleger.

© SZ vom 22.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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