Großbritannien:Schock und neue Furcht

Lesezeit: 3 min

Blumen für die Opfer: Touristen trauern am Strand vor dem tunesischen Luxushotel Riu Imperial Marhaba Hotel in Port el Kantaoui. (Foto: Kenzo Tribouillard/AFP)

Das vom Anschlag in Tunesien betroffene Großbritannien gedenkt der Opfer. Cameron verlangt eine "umfassende Antwort" auf den Terror. Vermutlich erhalten die Sicherheitsdienste mehr Macht.

Von Christian Zaschke, London

Über dem Amtssitz des britischen Premierministers in 10 Downing Street war am Montag halbmast geflaggt, das Unterhaus legte eine Schweigeminute ein. Das Vereinigte Königreich gedenkt der 39 Opfer des Terroranschlags in Tunesien vom vergangenen Freitag, von denen bisher offiziell 18 als Briten identifiziert worden sind. Es gilt jedoch als sicher, dass mindestens 30 der Toten Briten waren. Das Innenministerium nennt den Anschlag den schlimmsten auf britische Bürger seit der Terrorattacke vom 7. Juli 2005 in London. Damals waren bei Selbstmordanschlägen 56 Menschen getötet worden, darunter die vier Attentäter. Zu dem Anschlag in Tunesien hat sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannt.

Innenministerin Theresa May ist am Montag nach Tunesien gereist. Gemeinsam mit ihren deutschen, französischen und tunesischen Kollegen nahm sie an einer Trauerfeier am Strand von Sousse teil, wo die Urlauber ermordet worden waren. Unter den Toten sind auch zwei Deutsche. May, Thomas de Maizière, Najem Gharsalli und Bernard Cazeneuve legten Kränze nieder. Anschließend besuchten die Politiker einige der mehr als 30 Verletzten. May sagte, sie wolle ausloten, wie die britischen Behörden bei der Aufklärung der Hintergründe der Tat helfen könnten.

Tunesiens Innenminister sagt, eine "bedeutende Zahl von Menschen" sei gefasst worden

Der 23 Jahre alte Attentäter Seifeddine Rezgui ist von der tunesischen Polizei erschossen worden. Unklar ist bisher, ob es weitere Täter gab und wie viele Helfer Rezgui hatte. Ein britischer Polizist, der sich zum Zeitpunkt des Attentats in Sousse aufhielt, sagte der BBC, er habe einen zweiten bewaffneten Mann gesehen und die tunesische Polizei darüber informiert. Diese habe ihm versichert, dass auch dieser Mann erschossen worden sei. Am Montag ist der Vater von Rezgui ebenso festgenommen worden wie drei Freunde des Attentäters, mit denen er in Kairouan lebte, rund 50 Kilometer westlich von Sousse. Dort studierte er. Innenminister Najem Gharsalli sagte, es sei "eine bedeutende Anzahl von Menschen aus dem Netzwerk, das hinter dem Täter steht", festgenommen worden.

Premierminister David Cameron hat sich am Montag in Interviews und in einem Gastbeitrag im Daily Telegraph umfassend zu dem Anschlag geäußert. Den Kampf gegen den IS nannte er den "Kampf unserer Generation". Er sagte: "Sie haben uns den Krieg erklärt und greifen unsere Bürger zu Hause und im Ausland an, ob uns das gefällt oder nicht." Die Terroristen würden "fürchterliche Attacken" auf britischem Boden planen und seien eine existenzielle Bedrohung für die westliche Welt.

Der Premier versprach, dass sämtliche verletzte Briten schnellstmöglich nach Hause gebracht würden. Am Montag ist eine Transportmaschine der Royal Air Force nach Tunesien geflogen, um bei der Evakuierung zu helfen. Seit dem Anschlag am Freitag sind bereits 3500 Briten aus Tunesien zurückgekehrt.

Für deren Erlebnisse interessiert sich nun die britische Polizei, die die Touristen um Hilfe bei den Ermittlungen gebeten hat. Mehr als 600 Beamte sind auf den Fall angesetzt worden. Es ist die größte britische Anti-Terror-Einheit seit einem Jahrzehnt. 380 Beamte haben in den vergangenen Tagen an den Flughäfen mit Rückkehrern aus Tunesien gesprochen, allein am Samstag befragten sie die Passagiere von 27 Flügen. Sie interessieren sich besonders für Bilder und Filme, die helfen sollen, den genauen Tathergang zu rekonstruieren. In London trat am Montag zudem das Notfallkomitee Cobra unter Leitung von Premier Cameron zusammen; führende Regierungsmitglieder und Vertreter der Sicherheitskräfte berieten über das weitere Vorgehen. Cameron sagte, es müsse eine "umfassende Antwort" auf die Bedrohung durch den IS geben. "Wir müssen unserer Polizei und unseren Sicherheitskräften die Werkzeuge geben, mit denen sie dieses Gift ausrotten können", schrieb Cameron im Telegraph. Die Konservativen planen schon länger, den Sicherheitsdiensten weitereichende Kompetenzen in der Überwachung vor allem des Datenverkehrs zuzugestehen. Es ist zu erwarten, dass sie diese Pläne nach den Anschlägen in die Tat umsetzen. In der vorangegangen Legislaturperiode war das Vorhaben noch am Widerstand der ehemaligen Koalitionspartner von den Liberaldemokraten gescheitert.

Das britische Außenministerium hat seine Reisewarnung für Tunesien erneuert: Es bestehe die Gefahr weiterer Anschläge, Reisende sollten wachsam sein. Die Polizei hat derweil die Sicherheitsmaßnahmen rund um das seit Montag laufende Tennisturnier von Wimbledon im Süden Londons sowie an anderen öffentlichen Plätzen und strategisch wichtigen Orten im gesamten Königreich verstärkt.

© SZ vom 30.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken
OK