Großbritannien:Kampf gegen zwei Kontrahenten

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Großbritanniens Regierungschefin May bekommt zwar ihr Brexit-Gesetz durch das Parlament, aber schon vor den Verhandlungen in Brüssel hat sie neuen Ärger: Schottland strebt ein Unabhängigkeitsreferendum an.

Von Alexander Menden , London

Zerstritten: Die britische Premierministerin Theresa May (links) und die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon. (Foto: Andrew Milligan/dpa)

Was immer man sonst von der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon halten mag - kaum jemand versagt ihr die Hochachtung für ihre Fähigkeit, die Schlagzeilen zu dominieren. Sturgeon schaffte es mit ihrer Ankündigung eines zweiten schottischen Unabhängigkeitsreferendums, zeitweise alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und das am selben Tag, an dessen Abend das britische Parlament in einer historischen Abstimmung die letzten legislativen Hindernisse für den Brexit beiseiteräumte. Es hatte der Tag werden sollen, an dem die britische Regierung endgültig wieder das Heft des Handelns in die Hand nehmen wollte. Seit das Oberhaus, das House of Lords, vergangene Woche den nur 137 Worte umfassenden Brexit-Gesetzentwurf abgelehnt und mit Änderungswünschen ans Unterhaus zurückgeschickt hatte, war Brexit-Minister David Davis sehr daran gelegen, eines klarzumachen: Dieser Gesetzentwurf wird eins zu eins umgesetzt.

Sturgeon platzte mit der Erklärung, sie werde das schottische Parlament darum bitten, den Weg für ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum zu ebnen, mitten in die Vorbereitung auf das fragliche Votum in Westminster. So gelang es ihr, beide Vorgänge in der öffentlichen Wahrnehmung miteinander zu verzahnen, was wiederum Theresa May kaum gefallen konnte. Die Premierministerin hatte während Sturgeons Rede einen Gottesdienst zum Commonwealth-Day in Westminster Abbey besucht, fand danach aber rasch harte Worte für Sturgeons Vorstoß: Sie warf der Chefin der Scottish National Party (SNP) vor, die Unabhängigkeits-Agenda mit einem "Tunnelblick" zu betreiben und mahnte, Politik sei "kein Spiel". Bei dieser scharfen Wortwahl blieb sie auch in der parlamentarischen Fragestunde am Dienstag.

Wann sie Brüssel offiziell über die Austrittsabsicht unterrichten wird, verrät May noch immer nicht

Zunächst stand aber der Wahlprozess im Palast von Westminster an, und an ihm änderte das alles letztlich nichts. Es gab noch ein paar leidenschaftliche Reden. Der ehemalige Parteichef der Liberaldemokraten, Nick Clegg, trat - als Sohn einer Holländerin und Ehemann einer Spanierin - nochmals für die Rechte der EU-Bürger ein. Alex Salmond von der SNP, Nicola Sturgeons Amtsvorgänger als schottischer Erster Minister, sagte mit Verweis auf ihre Rede: "Hier gibt es heute keine bedeutende Abstimmung, aber es wird eine in Schottland geben!" Dann wies das Unterhaus mit klarer Mehrheit beide von den Lords geforderten Änderungen ab. Es gab weder eine Bleiberechtsgarantie für die drei Millionen bereits in Großbritannien lebenden EU-Bürger, noch bekam das Parlament die Zusage für eine letzte Abstimmung am Ende der Brexit-Verhandlungen mit den übrigen EU-Staaten. David Davis unterstrich, die Regierung werde nicht zulassen, dass das Referendums-Ergebnis durch die Hintertür sabotiert werde.

Eine Stunde nach der Unterhaus-Abstimmung folgte Davis der kleinen Prozession, die den Gesetzentwurf dem House of Lords am anderen Ende des Palastes überbrachte. Auch hier war die Opposition der vergangenen Woche dahingeschmolzen; ein Hin und Her zwischen den Kammern sollte es nicht geben. Baroness Hayter verkündete im Namen der Labour-Fraktion, man werde dem Gesetzentwurf nicht mehr im Wege stehen. Und so hatte kurz vor 22 Uhr die "Brexit Bill" die letzte Hürde genommen. Nun fehlt nur noch die Ratifizierung durch die Königin, eine Formalie, die in den kommenden Tagen erwartet wird.

Wer gedacht hatte, dies werde Klarheit für den weiteren Zeitplan schaffen, sah sich allerdings enttäuscht. Zwar berichtete May im Unterhaus vom letzten EU-Gipfel und betonte, sie habe "guten Willen" seitens der EU gegenüber dem Vereinigten Königreich gespürt. Sie wiederholte einen ihrer Lieblingssätze: "Kein Abkommen mit der EU ist besser als ein schlechtes Abkommen." Hinsichtlich des Termins, an dem sie Brüssel offiziell von der britischen Absicht benachrichtigen wird, aus der EU auszutreten, legte sie sich aber auch weiterhin nicht fest. "Wir sind voll auf Kurs", sagte May. Sie fügte nur hinzu, sie werde "noch vor Ende des Monats ins Unterhaus zurückkehren" und es vom Beginn der Brexit-Verhandlungen in Kenntnis setzen. Es ist weiterhin offen, ob sie, wie lange vermutet, mit diesen Verhandlungen noch diese Woche beginnen wird, oder, wie die britischen Medien zuletzt spekulierten, erst am 27. März nach Brüssel schreibt. Sollte May Artikel 50 des EU-Vertrags nicht in dieser Woche auslösen, wäre der für den 6. April angesetzte Brexit-Gipfel jedenfalls Makulatur. Die Vorbereitungszeit würde dann zu knapp.

Unabhängig vom genauen Starttermin hat die britische Regierung nun endgültig freie Hand, die Brexit-Verhandlungen aufzunehmen. Dass die Regierung in Edinburgh gleichzeitig die bereits beigelegt geglaubte Frage der schottischen Loslösung aus dem Vereinigten Königreich erneut stellen will, zeigte allerdings noch einmal in aller Deutlichkeit, wo die Bruchlinien auf den Britischen Inseln verlaufen. Theresa May wirkte am Dienstag bei ihrem Auftritt im Unterhaus wie üblich selbstsicher, und nahm mit sichtlichem Genuss die guten Wünsche ihrer euroskeptischen Parteifreunde entgegen. Zugleich musste ihr jedoch klar sein, dass sie sich in den kommenden zwei Jahren auf eine Auseinandersetzung mit zwei Kontrahenten wird einrichten müssen - mit der EU und mit der SNP.

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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