Großbritannien:Freundlicher Brexiteer in Brüssel

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Dass Großbritannien aus der EU austrete, heiße nicht, dass es sich von Europa abwende, sagt Boris Johnson. (Foto: Francois Lenoir/Reuters)

Der neue Außenminister Boris Johnson muss sich erstmals im Kreis der EU-Kollegen zeigen. Das macht er überraschend konziliant.

Von Christian Zaschke, London

Hin und wieder hält der politische Betrieb hübsche Volten bereit, und eine besonders hübsche besteht darin, dass Boris Johnsons erste Dienstreise als britischer Außenminister nach Brüssel führte. Johnson war das Gesicht der Brexit-Kampagne. Über die EU hat er unter anderem gesagt, sie wolle wie Napoleon und Hitler einen europäischen Superstaat aufbauen. Am Montag traf er erstmals seine Kollegen aus den anderen 27 Mitgliedstaaten und zeigte sich von seiner freundlichsten Seite. Dass Großbritannien aus der EU austrete, heiße keinesfalls, dass man sich von seinen Freunden in Europa abwende, versicherte er.

Johnson hatte sich bereits am Sonntagabend mit Federica Mogherini getroffen, der Hohen Beauftragten der EU für Außenpolitik. Das Gespräch dauerte 45 Minuten und sei sehr produktiv gewesen, sagte Johnson. Im Übrigen freue er sich darauf, über die positiven Aspekte des Brexit zu sprechen. Allerdings hatten die übrigen Außenminister dafür wenig Zeit. Auf der Tagesordnung standen auch der Anschlag in Nizza und der Putschversuch in der Türkei.

Johnson erlebte bei seinem ersten Auftritt gleich ein besonderes Treffen mit, denn erstmals gesellte sich ein amerikanischer Kollege zur Versammlung der europäischen Außenminister. John Kerry war nach Brüssel gereist, um an den Gesprächen teilzunehmen. An diesem Dienstag wird er in London erwartet, wo er zunächst mit Johnson spricht. Anschließend wird der Kreis um Mogherini sowie die Außenminister aus Deutschland, Frankreich und Italien erweitert. Gesprochen werden soll über die Krise in Syrien.

Johnsons Besuch in Brüssel wurde auch deshalb mit Interesse erwartet, weil seine überraschende Ernennung zum Außenminister auf dem Kontinent mit Skepsis aufgenommen worden war. Sein französischer Kollege Jean-Marc Ayrault hatte gesagt, Johnson habe die britischen Bürger während der Brexit-Kampagne belogen und stehe mit dem Rücken zur Wand. Nun sagte Ayrault, er habe ein "offenes und nützliches Gespräch" mit Johnson gehabt und werde auch weiterhin "mit größtem Ernst und größter Offenheit" mit ihm sprechen. Er sei überdies dafür, dass die Briten die offiziellen Verhandlungen über den Austritt so früh wie möglich aufnähmen, damit der EU eine lange Phase der Unsicherheit erspart bleibe.

Diese Hoffnung wird allerdings voraussichtlich unerfüllt bleiben, denn sowohl Premierministerin Theresa May als auch der neue Brexit-Minister David Davis haben angekündigt, dass sie die Gemeinschaft erst im kommenden Jahr gemäß Artikel 50 der EU-Verträge informieren wollen. Erst dann beginnen die Austrittsverhandlungen, die auf maximal zwei Jahre angelegt sind. Davis will zunächst mit den regionalen Regierungen in Schottland, Wales und Nordirland über das weitere Vorgehen beraten. Das könnte sich besonders in Schottland und in Nordirland hinziehen, wo eine Mehrheit der Bevölkerung für den Verbleib in der EU gestimmt hat.

Auch für die neue Premierministerin May stehen die ersten Auslandsreisen an. Am Mittwoch wird sie in Berlin erwartet, wo sie mit militärischen Ehren empfangen wird. Mit Kanzlerin Angela Merkel will May unter anderem über die Folgen des Brexit-Votums sprechen. Danach reist sie nach Paris, wo sie Präsident François Hollande trifft.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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