Großbritannien:Die Lords spielen nicht mit

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Finanzminister George Osborne hat sich verrechnet - wieder einmal. (Foto: Paul Hackett/Reuters)

Das Oberhaus stellt sich gegen Sparpläne der Regierung, weil sie vor allem die Ärmeren treffen würden.

Von Christian Zaschke, London

Es war eine lange, eine intensive Debatte im House of Lords, an deren Ende eine Abstimmung stand, die eine schwere Niederlage für die britische Regierung bedeutet und überdies grundsätzliche Fragen über die Befugnisse des Oberhauses aufwirft. Die Parlamentarier des Oberhauses werden nicht gewählt, sondern ernannt. Üblicherweise mischen sie sich daher nicht ein, wenn die gewählten Vertreter des Unterhauses Beschlüsse fassen, die die Staatsfinanzen betreffen. Doch genau das haben die Lords am Montagabend erstmals seit gut 100 Jahren getan.

Finanzminister George Osborne will zur Sanierung des Haushalts unter anderem Steuervergünstigungen für Geringverdiener drastisch kürzen. Dieses Vorhaben war selbst unter den Konservativen umstritten, weil rund drei Millionen Familien mit geringem Einkommen bis zu 1300 Pfund (rund 1800 Euro) weniger pro Jahr zur Verfügung stünden. Dennoch stimmte eine Mehrheit der Abgeordneten im Unterhaus dreimal für die Pläne des Finanzministers. Debatte und Abstimmung im Oberhaus sind der Konvention zufolge in solchen Fällen nur noch Formsache. Dieses Mal stimmte jedoch eine Mehrheit im Oberhaus dafür, die Kürzungen zu verzögern und erneut zu prüfen.

Für Osborne bedeutet das eine persönliche Niederlage. Er hatte trotz Warnungen aus der eigenen Partei und aus dem Oberhaus an seinen Plänen festgehalten. Sein Argument: Zum einen müsse das Land sparen, zum anderen würden Geringverdiener von anderen Maßnahmen profitieren, zum Beispiel von einem höheren Mindestlohn. Bis zuletzt hatte er zudem gehofft, das Oberhaus werde sich an die althergebrachten Konventionen halten. Weil Großbritannien jedoch nicht über eine geschriebene Verfassung verfügt, sahen die Abgeordneten in diesem Fall den Spielraum, gegen die Pläne der Regierung zu stimmen.

Als Osborne sein Vorgehen am Dienstag im Parlament verteidigte, wirkte er gleichermaßen erzürnt wie angeschlagen. Er gilt als Favorit für die Nachfolge von Premierminister David Cameron, der angekündigt hat, sich 2020 nicht noch einmal zur Wahl stellen zu wollen. Nun werden jedoch innerhalb der Konservativen Partei erstmals seit 2012 wieder Zweifel am politischen Gespür des Finanzministers laut. Damals hatte er einen Haushalt vorgelegt, der offenkundig so wenig durchdacht war, dass er ihn binnen weniger Wochen in weiten Teilen zurücknehmen und revidieren musste.

Seinen nächsten Haushalt wird Osborne Ende November vorlegen. Er hat angekündigt, bis dahin eine Antwort auf die Frage zu finden, wie Geringverdiener vor den Folgen der Kürzung der Steuervergünstigungen geschützt werden können. An der generellen Kürzung will er festhalten. Er sagte: "Es bleibt unser Ziel, ein Land mit niedrigen Steuern, niedrigen Sozialleistungen und hohen Löhnen zu sein." Die geringeren Steuervergünstigungen sollten umrechnet rund 6,1 Milliarden Euro sparen. Insgesamt will Osborne die Sozialleistungen bis zur nächsten Wahl 2020 um umgerechnet 16,6 Milliarden Euro kürzen.

Die Tories hatten die Abgeordneten des Oberhauses vor der Abstimmung mehrmals gewarnt, ihre Kompetenzen nicht zu überschreiten. Nach der Abstimmung sagte Osborne: "Ungewählte Mitglieder des Oberhauses haben einen die Finanzen betreffenden Beschluss der gewählten Mitglieder des Unterhauses blockiert. David Cameron und ich sind uns einig, dass das konstitutionelle Fragen aufwirft, die wir angehen müssen." Was das konkret bedeutet, ließ er offen. Die Regierung will laut des Büros von Premierminister Cameron nun rasch Vorschläge dafür vorlegen, wie das Verhältnis zwischen den beiden Kammern des Parlaments insbesondere in Finanzfragen klarer geregelt werden könnte. Derzeit haben die Tories im House of Lords - anders als im House of Commons - keine Mehrheit. Daher wäre eine weitere mögliche Reaktion, dass die Regierung in der näheren Zukunft Dutzende Konservative in den Adelsstand erhebt, um auf diese Weise auch im Oberhaus die Mehrheit der Abgeordneten zu stellen. Dieses Vorgehen fände jedoch auch unter den Konservativen nur bedingt Zustimmung. Die Befürchtung: Adelstitel in inflationärer Weise so offensichtlich aus parteipolitischen Gründen zu verteilen, könnte in der britischen Öffentlichkeit ausgesprochen schlecht ankommen.

© SZ vom 28.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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