Großbritannien:Debatte in Etappen

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Oppositionsführer Jeremy Corbyn schlug sich besser als erwartet. (Foto: Stefan Rousseau/AFP)

Nacheinander treten die britische Premierministerin Theresa May und ihr Herausforderer Jeremy Corbyn im Fernsehen auf, um sich kritischen Fragen des Publikums zu stellen. Es glänzen aber andere.

Von Christian Zaschke, London

Angekündigt war die Sendung als große Debatte zwischen Regierung und Opposition, und, etwas martialisch, als "Schlacht um Nummer 10" - wer die britische Parlamentswahl in eineinhalb Wochen gewinnt, darf während der kommenden fünf Jahre im Amtssitz des Regierungschefs in 10 Downing Street residieren. Premierministerin Theresa May und Labour-Chef Jeremy Corbyn traten am Montagabend bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Fernsehsender Channel 4 und Sky News auf, um sich den Fragen des Studiopublikums und denen eines Moderators zu stellen - von einer Debatte konnte allerdings keine Rede sei. Zunächst trat Corbyn auf und erst, als der seinen Auftritt beendet hatte, betrat May die Bühne.

Dass die beiden nicht gemeinsam auftraten und miteinander debattierten, ist der Tatsache geschuldet, dass die Premierministerin die direkte Konfrontation abgelehnt hat. Das wiederum hat zwei Gründe: Zum einen hat der Herausforderer in direkten Duellen in der Regel mehr zu gewinnen, zum anderen mag May solche Duelle nicht, weil sie ihr zu unvorhersehbar sind. Sie geriet vor allem ins Schwimmen, wenn sie von Polizisten, Hebammen oder Lehrern nach den Kürzungen im Gesundheitswesen und im öffentlichen Dienst gefragt wurde. Bisweilen lachte das Publikum sogar über ihre ausweichenden Antworten. May reagierte darauf wie gewohnt mit einem eisigen Starren, doch dieser Todesblick hat in den vergangenen Wochen der Kampagne an Kraft eingebüßt. "Sie haben es verbockt", rief jemand im Publikum.

Sie wiederholt das Immergleiche. So wirkt May roboterhaft und inhaltsleer

Corbyn gab schwammige Antworten, als er dazu befragt wurde, warum er in der Vergangenheit Sympathie für die Irisch-Republikanische Armee gezeigt und wieso er den Falkland-Krieg als Verschwörung der Tories bezeichnet habe. Insgesamt wirkte er jedoch kohärenter. Der 68 Jahre alte Labour-Chef ist, seitdem er 2015 den Parteivorsitz übernommen hat, souveräner in seinen öffentlichen Auftritten geworden.

Beide Parteien reklamierten am Dienstag den Sieg in dieser indirekten Auseinandersetzung für sich, doch die meisten Beobachter in Westminster bewerteten sie als unentschieden, vielleicht mit leichten Vorteilen für Corbyn. Der Labour-Chef hatte sich besser präsentiert als erwartet, während May den Abend ohne größere Schrammen überstand. Gewinner des Abends war am ehesten das Studiopublikum, das mit präzisen Fragen ein genuines Interesse an den politischen Details der Wahlprogramme demonstrierte.

Mays Auftritt wurde dadurch gerettet, dass der Moderator sie am Ende fragte, ob sie bereit sei, die EU notfalls auch ohne Abkommen zu verlassen. Das ist ihr Lieblingsthema, weil es ihr erlaubt, Härte zu zeigen. "Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal", sagte sie entschlossen, und da der Moderator seine Frage mehrmals wiederholte, sagte sie es fünfmal hintereinander. Als das Gros des Publikums applaudierte, entspannten sich die Züge Mays. Sie war jetzt wieder auf sicherem Terrain.

Immerhin haben knapp 52 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU gestimmt, darunter viele Labour-Wähler. Auch deshalb wird Mays Kampagne sich in den kommenden eineinhalb Wochen bis zum Wahltermin vor allem darauf konzentrieren zu vermitteln, dass sie, anders als Corbyn, die Brexit-Verhandlungen in aller Schärfe führen werde. Zudem wird sie, statt ausschließlich auf sich selbst zu rekurrieren, zur Grundmelodie eines jeden konservativen Wahlkampfs zurückkehren und betonen, dass nur die Tories mit Geld umgehen könnten. In die Hände dürfte ihr spielen, dass Corbyn am Dienstag in einem Radio-Interview Labours Pläne zur Kinderbetreuung vorstellte und gefragt wurde, was diese kosten würden. Er wusste es nicht.

Mays Auftritt war auch deshalb bemerkenswert, weil er ein Umdenken im Strategiezentrum der Tories signalisierte. Wochenlang hatte die Premierministerin unbeirrt auf nahezu jede Frage gesagt, Großbritannien brauche jetzt eine "starke und stabile" Führung. Sie wiederholte das so oft, dass es bald wirkte, als sei ihr Wortschatz über Nacht auf diese beiden Wörter zusammengeschnurrt: stark und stabil. Am Montagabend nutzte May ihre einstige Lieblingsformel nicht ein einziges Mal.

Zudem war der Wahlkampf zunächst ganz auf May zugeschnitten. Dass sie für die Konservativen antritt, wurde kaum erwähnt, die Rede war stets von "Theresa May und ihrem Team". Das Ganze trug so sehr die Züge eines Personenkults, dass ein Kolumnist des Guardian von May nur noch als "Oberster Führerin" schreibt. Die Tories setzten darauf, mit diesem präsidialen Wahlkampf die Defizite des Labour-Kandidaten Corbyn betonen zu können.

Durch die Wiederholung des Immergleichen wirkte May jedoch roboterhaft und inhaltsleer, während Corbyn ruhig über soziale Themen sprach. Die Folge: In den Umfragen holte die Labour-Partei mehr und mehr auf. Plötzlich sah es so aus, als könnte es am 8. Juni vielleicht doch knapper werden als zunächst erwartet. An einem Sieg der Tories bestehen weiter wenig Zweifel. Doch May hatte die vorgezogenen Neuwahlen nur ausgerufen, weil sie glaubte, einen Erdrutschsieg einfahren zu können. Das steht mittlerweile infrage. Auch deshalb haben die Konservativen beschlossen, den Personenkult um May einstweilen zu beenden und als Partei aufzutreten.

© SZ vom 31.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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