Großbritannien:Abschotten verhindern

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Premier Cameron besucht Schottland und demonstriert guten Willen. Um ein Referendum zu verhindern, muss er aber mehr aufbieten.

Von Christian Zaschke, London

Sie sind die beiden großen Gewinner der britischen Unterhaus-Wahlen, und doch könnten sie politisch kaum weiter voneinander entfernt sein. Premierminister David Cameron steht einer konservativen Regierung vor, die massiv sparen will und insbesondere bei den Sozialleistungen kürzt. Nicola Sturgeon, Schottlands Ministerpräsidentin und Chefin der linksliberalen Scottish National Party (SNP), will investieren und die Sozialleistungen ausweiten. Am Freitag trafen sich die beiden Politiker erstmals seit der Wahl in der vergangenen Woche in Edinburgh, um Schottlands Zukunft zu besprechen.

Die Tories haben zwar die absolute Mehrheit im Parlament von Westminster gewonnen, in Schottland gingen jedoch 56 von 59 Sitzen an die SNP. Der frühere SNP-Chef Alex Salmond vertritt die Ansicht, die britische Zentralregierung habe daher "keinerlei Legitimität" in Schottland. Das sieht Premier Cameron anders. Er sagte: "Schottland hat zwei Regierungen, und es ist meine Pflicht und die der Ministerpräsidentin, einander zu respektieren und gemeinsam zum Wohle aller Menschen in Schottland zu arbeiten."

Nach Meinung der SNP heißt das zunächst, dass deutlich mehr Kompetenzen aus Westminster an das schottische Regionalparlament abgegeben werden. Nach dem Unabhängigkeits-Referendum im vergangenen Herbst, in dem eine Mehrheit der Schotten für einen Verbleib im Vereinigten Königreich votierte, legte eine parteiübergreifende Kommission unter Vorsitz von Lord Robert Smith Vorschläge zur Dezentralisierung und zur Stärkung des schottischen Parlaments vor. Demnach soll es in Regionalwahlen 16- und 17-Jährigen erlaubt sein zu wählen, zudem soll das Parlament in Edinburgh die Einkommensteuer selbst erheben können und größere Kontrolle über die Verteilung von Sozialleistungen erhalten.

Der SNP gehen diese Pläne nicht weit genug. Ministerpräsidentin Sturgeon nannte sie am Freitag einen "guten Ausgangspunkt", um die Verhandlungen aufzunehmen. Ihr schwebt vor, dass das schottische Parlament zudem die Steuerfreibeträge, den Mindestlohn, das Kindergeld und die Unternehmensteuer selbst festsetzt sowie weite Teile des Arbeitsrechts gestalten kann. Cameron sagte nach dem Treffen in Sturgeons Amtssitz in Edinburgh, er werde sich diese Vorschläge "gerne anhören". Zunächst wolle er aber die Pläne der Smith-Kommission umsetzen.

David Cameron möchte den Prozess der Dezentralisierung im ganzen Land vorantreiben

Dass der Premier so früh nach der Wahl nach Schottland gereist ist, wird als Geste des guten Willens gewertet. Cameron weiß, dass er der SNP weit entgegenkommen muss, wenn er die Einheit des Landes bewahren will. Nicola Sturgeon hat gesagt, sie wolle eine weitere Volksabstimmung über die Unabhängigkeit nur anstrengen, falls sich die "Umstände deutlich ändern". Was das genau bedeutet, ließ sie offen.

Dass die SNP versucht, rasch ein weiteres Referendum abzuhalten, gilt in drei Konstellationen als denkbar. Erstens: Cameron kommt den Forderungen nach deutlich mehr Kompetenzen für das Regionalparlament nicht nach. Zweitens: Eine Mehrheit der Briten stimmt nächstes oder übernächstes Jahr für den EU-Austritt, eine Mehrheit der Schotten aber dagegen. Drittens: Die SNP schreibt eine neue Volksabstimmung in ihr Programm für die Regionalwahlen im kommenden Jahr und schneidet ähnlich überwältigend ab wie jetzt bei den Unterhaus-Wahlen. Allerdings müsste die Zentralregierung einem neuerlichen Referendum zustimmen.

Cameron hat versprochen, dass in seiner Ende dieses Monats von Königin Elizabeth II. vorgetragenen Regierungserklärung ein Schottland-Gesetz enthalten sein wird, das weit reichende Kompetenzverlagerungen regeln soll. Zudem möchte Cameron den Prozess der Dezentralisierung im ganzen Land vorantreiben. Insbesondere die Kommunen im Norden Englands sollen umfassende Rechte zur Selbstverwaltung erhalten. Finanzminister George Osborne hielt in dieser Woche in Manchester eine programmatische Rede, in der er erneut ausführte, dass ihm eine Art Superstadt im Großraum Liverpool, Manchester, Leeds und Sheffield vorschwebe. Die Region hat wie London rund neun Millionen Einwohner und soll ein Gegengewicht zur Hauptstadt werden. Die Tories glauben, dass nur eine Stärkung der Regionen, möglicherweise bis hin zum Föderalismus, eine Zersplitterung des Landes verhindern kann.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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