Griechenland:"Sie haben uns wie Tiere gehalten"

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Und wie weiter? Ein Flüchtlingspaar ist gerade mit der Eleftherios Venizelos im Hafen von Piräus angekommen. (Foto: Stoyan Nenov/Reuters)

Griechenland scheitert daran, Tausende Flüchtlinge zu registrieren und zu versorgen. Das Land ist für die meisten Menschen ohnehin nur Durchgangsstation - und Ort der Gewalt.

Von Mike Szymanski, Piräus

Ein Schiff kommt an von einer Urlaubsinsel, aber niemand winkt. Es hat auch niemand Blumen mitgebracht. Es wartet niemand auf diese Menschen - außer ein paar Polizisten und Busfahrer. Das Schiff bringt Flüchtlinge.

Der Hafen von Piräus, Gate 1, Dienstagmittag: Die Eleftherios Venizelos steuert mit dem Heck zuerst auf den Anleger zu. Die Nacht über war das Schiff unterwegs. Die Fähre bietet Platz für 2500 Menschen. Als sich die große Ladeluke öffnet, gehen die ersten Passagiere nicht einfach von Bord. Einige rennen. Sie rennen davon.

Wer will es ihnen auch übel nehmen, dass sie nur noch weg wollen: Am Montagabend hat die Fähre in Lesbos abgelegt, der beliebten Ferieninsel. Es war schon ein Kampf, überhaupt aufs Boot zu kommen, berichtet Emad Musa, 32, der jetzt im grünen Polohemd und mit seinem Besitz, der in eine Reisetasche passt, da steht. "Die Polizisten hatten nur dies für uns übrig", sagt er und deutet mit seinem Arm Schläge mit einem Knüppel an.

Etwa 15 000 Flüchtlinge sollen sich derzeit auf Lesbos befinden, so genau weiß das niemand, weil es schon bei ihrer Registrierung Probleme gibt. Die Behörden kommen gar nicht nach, die Papiere auszustellen. Am Montagabend wollten 6000 Flüchtlinge auf die Eleftherios Venizelos. "Bleibt zurück!", forderten Sicherheitskräfte die Männer und Frauen auf. Als viele sich dennoch einen Weg auf das Schiff bahnten, griffen die Polizisten zu Schlagstöcken.

Die Regierung hatte das Schiff extra geschickt, weil die Urlaubsinsel diesen Ansturm an Hilfesuchenden längst nicht mehr bewältigen kann. Jeden Tag bringt das Meer mittlerweile 2000 bis 2500 neue Flüchtlinge an die Ufer von Lesbos. Sie haben sich entlang der türkischen Küste unter oft lebensgefährlichen Umständen aufgemacht. Nach Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) halten sich auf den griechischen Inseln derzeit mehr als 30 000 Migranten auf. Seit Jahresbeginn sind knapp 250 000 Flüchtlinge in Griechenland angekommen. Die Regierung will weitere Fähren einsetzen, um die Wartenden aufs Festland zu holen. Das gestaltet sich schwierig, weil die Schiffe in der Urlaubssaison ausgebucht sind.

Wer es nach Piräus geschafft hat, versucht an die Grenzen zu kommen. Das vor Kurzem in Athen errichtete Aufnahmelager für 720 Personen dient allenfalls als Quartier für wenige Tage. Es seien noch wenige Plätze frei, heißt es. "Wir beobachten, dass die Flüchtlinge nicht in Griechenland bleiben wollen", sagt Ariana Vassilaki vom Athener UNHCR-Büro. In den Morgenstunden am Dienstag versuchten 2000 Migranten die Grenze nach Mazedonien zu überqueren. Dort kam es zu Handgemengen.

Emad Musa holt ein zusammengefaltetes Papier aus seiner Hosentasche. Ein paar Zeilen Text, ein Stempel. Eine Woche habe er auf seine Registrierung auf Lesbos warten müssen. "Die Behörden sind überfordert, die Polizei ist aggressiv", berichtet eine 42-jährige Frau, ebenfalls aus Syrien, die mit ihrem kleinen Sohn unterwegs nach Deutschland ist: "Sie haben uns wie Tiere in ihrem Camp gehalten."

Seit Wochen bekommt Griechenland die Probleme bei der Aufnahme der Flüchtlinge nicht in den Griff. Es fehlt an Unterkünften. Es fehlt an Personal. Die Stimmung unter der Inselbevölkerung droht zu kippen und in Fremdenfeindlichkeit umzuschlagen. Einwanderungsminister Yannis Mouzalas nannte die Lage auf Lesbos bereits "explosiv".

Das Thema ist im Parlamentswahlkampf angekommen. Alexis Tsipras, der mit seinem Linksbündnis Syriza um die Wiederwahl kämpft, wirft den Konservativen vor, in ihrer Regierungsverantwortung bis Anfang des Jahres "nichts" für die Flüchtlinge getan zu haben. Die konservative Nea Dimokratia, die Umfragen zufolge ebenfalls an die Macht kommen könnte, will die Grenzen besser sichern. Man dürfe nicht das Signal aussenden: "Kommt rüber!", erklärte ihr Spitzenkandidat Evangelos Meimarakis.

© SZ vom 09.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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