Griechenland:Nichts mehr zu holen

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Seit sechs Jahren wird in Griechenland gespart. Die Folge? Lob aus Brüssel und eine Bevölkerung, die die eigene Regierung hasst. Inzwischen streiken sogar die Anwälte. Zu Besuch bei zwei Athenern, die kämpfen.

Von Mike Szymanski, Athen

Vielleicht sollten sich der wütende Anwalt Dimitris Belantis, 52, und Daphne, 25, die Musikstudentin kennenlernen. Belantis sagt, er spüre gerade Hass. Er ist sonst eigentlich nicht so wütend, aber diese depressive Stimmung in Griechenland, die mache die Leute einfach fertig.

Daphne hätte auch allen Grund zum Verzweifeln. Tagsüber arbeitet sie acht Stunden in einer Werbeagentur, ohne dafür bezahlt zu werden. Nein, kein Praktikum, Arbeitsmarktrealität in diesem Land. Wenn sie sich gut macht, wird vielleicht in ein paar Monaten ein echter Job daraus. Jetzt aber geht sie nach der Arbeit in der Werbeagentur arbeiten, quasi, um sich den Job leisten zu können.

Daphne ist trotzdem eine Art Glücks-Aktivistin, deshalb darf man ihren Nachnamen auch nicht in der Zeitung schreiben. Auf kleinen gelben Klebezetteln, die sie in ihrer Stadt an Laternen, Wände und Häuser pappt, verbreitet sie gute Laune. Ein Kalimera hier - guten Tag heißt das - ein "Lächle" dort. Aus einer kleinen Idee ist ein Projekt geworden, das "Kalimera-Projekt", mit Facebookseite, Mitstreitern und Anhängern. Tausende Zettel haben Daphne und eine Handvoll Mitstreiter schon in der Stadt verteilt. Einfach nur so, sagt sie. "Weil alle sich danach besser fühlen." Sich aufgeben? Wegen der Krise? Komme nicht infrage.

Mit Krawatte zur Demo: Griechenlands Anwälte protestieren in Athen gegen ihre Regierung. (Foto: Thanassis Stavrakis/AP)

Der Sommer ist in der Stadt, und mit ihm die Erinnerung an das letzte Jahr. Vor einem Jahr hatte der linke Premierminister Alexis Tsipras Griechenland an den Rand des wirtschaftlichen Kollaps geführt. Er wollte nicht akzeptieren, dass die internationalen Geldgeber dem hoch verschuldeten Land abermals ein Sparprogramm für Hilfsmilliarden aufzwingen. Die Grexit-Angst ging um. In dieser Woche hat Tsipras, heute selbst Sparprogramm-Vollstrecker, aus Brüssel Lob für seine Reformen und weitere Milliarden aus dem dritten Hilfspaket in Aussicht gestellt bekommen. Man spricht jetzt sogar über Schuldenerleichterungen . Ein guter Tag für Griechenland, möchte man meinen. Aber wer Dimitris Belantis und Daphne kennenlernt, versteht erst, wie hoch der Preis dafür ist, den die Griechen im Land bezahlen müssen.

Der 52-jährige Anwalt und mit ihm Tausende Kollegen kämpfen seit Januar gegen die Reformen, für die Tsipras im Ausland jetzt so gelobt wurde. Die Beiträge zur Sozialversicherung steigen, die Renten werden gekürzt, die Steuern erhöht. 5,4 Milliarden Euro soll das Land mit den jüngst gefassten Beschlüssen sparen. Die Anwälte wollten Tsipras stoppen, indem sie ihren Job nicht machen. Ein Anwälte-Streik, Protest in Krawatten. Das hat das Land so noch nicht gesehen. Mehr als 300 000 Verfahren ruhen seither.

Wer sich scheiden lassen will, muss es noch ein bisschen länger mit seinem Partner aushalten. Wer seinen Nachbarn verklagt hat, hat es auch nicht besser. Die Kneipenschlägerei, der Diebstahl und der Betrug - muss gerade alles warten. Nur Schwerverbrecher, die können sich nicht zurücklehnen. Und wenn Verjährung droht, dann werde auch gearbeitet, sagt Belantis. Den Anwälten bleibe gar nichts anderes übrig, als sich zu wehren. "Wir erleben gerade den Zusammenbruch der Mittelschicht." Bei den Armen und Neuarmen sei nach sechs Jahren Schuldenkrise und Sparpolitik wirklich nichts mehr zu holen. Jetzt seien die Anwälte dran, findet er. Die Sozialversicherungsbeiträge steigen für Freiberufler, er zahlt künftig 38 Prozent. Mit Steuern muss er bald zwei Drittel seiner Einkünfte abführen. Belantis ist auch im Vorstand der Athener Anwaltskammer. So bekommt er mit, dass jeden Monat fast hundert Anwälte aufgeben würden. Deshalb herrsche jetzt auch unter den Anwälten Hass - auf die Regierung.

Daphne hat vor drei Jahren das Kalimera-Projekt begonnen. Sie hat beobachtet, wie den Leuten die Zettel guttun, manche nehmen sie auch mit. Der Vater ihrer Freundin hatte bald einen der gelben Zettel bei sich am Rechner kleben ohne zu ahnen, wer dahinter steckt. Das machte dann Daphne glücklich. Für ihre Generation ist die Krise prägend. Der offizielle Mindestlohn für Angestellte bis 25 Jahre beläuft sich auf brutto 511 Euro. Wenn er denn gezahlt wird. Es ist schon ein Glück, überhaupt Arbeit zu finden. Jeder Zweite unter 25 sucht vergeblich. Mehr als 200 000 junge Griechen haben das Land während der Krisenjahre schon verlassen. Professoren sagen ihren Studenten: Geht ins Ausland!

Belantis sagt, er würde gehen, wenn er jünger wäre. Aber mit 52 will er nicht noch mal anfangen. Daphne fragt sich: Wer soll denn etwas in diesem Land verändern, wenn all die jungen Leuten gehen oder den Kopf in den Sand steckten? Auf die Politiker im Land ist sie genauso schlecht zu sprechen wie der streikende Anwalt. Bald gehen beide wieder auf die Straße. Er protestieren, sie Zettel kleben.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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