Griechenland-Debatte:Nicht überzeugt, nicht überzeugend

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Warum Finanzminister Schäuble im Bundestag für etwas wirbt, an das er selbst kaum zu glauben scheint.

Von Cerstin Gammelin

Keine Sekunde kommt Wolfgang Schäuble zu früh. Punkt 10 Uhr erscheint der CDU-Politiker am Freitag im Plenum. Er ist Hauptfigur in einer Sondersitzung des Bundestages, die es, wenn es nach ihm gegangen wäre, so gar nicht gegeben hätte: Es ist die Abstimmung für weitere Griechenlandhilfen.

Noch 24 Stunden zuvor hat er im Radio erklärt, dass Griechenland die Krise besser bewältigen könne, wenn es den Euro abgebe, zumindest zeitweise. Hätte er darüber zu entscheiden gehabt, würde der Bundestag jetzt über einen Antrag Athens auf Austritt aus der Euro-Zone debattieren, verbunden mit einem Antrag auf Schuldenerlass. Weil es aber nicht nach dem Finanzminister geht, sondern nach der Kanzlerin, wird er sich nun mit einer Bitte zu an die Abgeordneten wenden, die nicht zu seinem Argument vom Vortag passt. Schäuble sagt: "Ich bitte Sie heute hier alle, dem Antrag zuzustimmen." Die Bundesregierung habe es sich nicht leicht gemacht, fügt er hinzu. Aber er glaube daran, dass die Chance bestehe, die Verhandlungen erfolgreich abzuschließen.

Das klingt weder überzeugt noch überzeugend, sondern ist vor allem eines: diszipliniert. Weil die Kanzlerin es will, ruft Schäuble die Abgeordneten dazu auf, der Bundesregierung Verhandlungen über ein drittes Rettungspaket zu erlauben.

Auf dem Weg zu seinem Platz auf der Regierungsbank, bei seinem Eintreffen, hatte Schäuble kurz bei Angela Merkel haltgemacht. Die Kanzlerin wendet sich dem Minister zu, sie reichen sich die Hände, wechseln ein paar Worte, die in der Ferne nicht zu verstehen sind; womöglich sind es Glückwünsche. Merkel feiert ihren 61. Geburtstag. Die Begegnung dauert wenige Atemzüge. Schäuble hat es eilig, an seinen Platz zu kommen.

Es geht hoch her in den folgenden drei Stunden. Argumente, Anschuldigungen und Erklärungen. Und Danksagungen. Wer alles vergleicht, bekommt ein ebenso differenziertes wie klares Bild von der Stimmungslage. Die Union steht hinter Schäuble. Alle anderen Fraktionen nicht. Auch nicht der Koalitionspartner. Im Bundestag spiegelt sich das Bild wider, das durch die internationale Presse schwirrt: Schäubles Tabu-Bruch beim Grexit beschäftigt Europa - und die Deutschen.

Dass ihr Minister weiter für den Grexit wirbt, wird die Kanzlerin nicht gerade freuen

Merkel hat am vergangenen Sonntag in Brüssel auf dem Euro-Sondergipfel selbst gespürt, zu welchen Verwerfungen der von Schäuble vorgetragene Grexit-Plan geführt hat. Plötzlich steht Deutschland hier und Frankreich da drüben. Merkel sagt, dass sie "nicht um jeden Preis" mit Griechenland Verhandlungen aufnehmen will. Schäuble wirbt dafür, Griechenland per Schuldenschnitt aus der Euro-Zone herauszukaufen. Auf der anderen Seite steht Frankreichs Präsident François Hollande mit der Ansage, "alles dafür zu tun, dass Griechenland im Euro bleibt". Und der französische Ressortchef Michel Sapin, der eine Grexit-Empfehlung in der Euro-Gruppe verhindert. Der Konflikt klingt nach, als Merkel im Bundestag sagt, Frankreich und Deutschland müssten nicht immer einer Meinung sein. Aber sie müssten zwei Meinungen zu einem Kompromiss zusammenführen. Für diesen Kompromiss hat Merkel vergangenes Wochenende 17 Stunden nonstop gearbeitet.

Dass ihr Finanzminister dennoch weiter für den Grexit argumentiert, wird sie, vorsichtig gesagt, kaum freuen. Im Bundestag belässt sie es dabei, Schäuble für seinen Einsatz zu loben, "für die vielen Stunden und Tage, die er in der Euro-Gruppe verhandelt hat". Über das Ergebnis spricht sie nicht. Aber es reicht auch so: Kaum ist der Dank ausgesprochen, beginnen die Unionsabgeordneten, ausdauernd zu klatschen. Die Union feiert Schäuble.

Gabriel dankt ausdrücklich Merkel und Hollande - nicht aber Schäuble

Der Koalitionspartner findet dagegen, dass, wenn überhaupt, Merkel Dank gebührt. Dafür, dass sie nicht auf Schäuble gehört und sich bemüht hat, mit Hollande einen Kompromiss zu finden. Vizekanzler Sigmar Gabriel dankt ausdrücklich der Bundeskanzlerin und dem französischen Präsidenten. Schäuble solle lieber schweigen: "Jede Debatte über einen Grexit muss der Vergangenheit angehören", sagt Gabriel. Schäuble, der ein paar Meter hinter ihm sitzt, schaut in diesem Moment so, als würde er diesen Satz, der ja nichts anderes als ein Maulkorb für ihn ist, sorgfältig abspeichern - für die Replik, zu der er wenig später ansetzt.

Im Bundestag hat Merkel versucht, Schäuble eine Brücke zu bauen. Europa habe jetzt Tage erlebt, die an Dramatik nicht zu überbieten seien, sagt sie. Auch für sie selbst sei das neu. Es sei klar geworden, dass eine Auszeit Griechenlands nicht gegen den Willen des Landes beschlossen werde könne. Also müsse ein anderer Weg, ein weiteres Rettungspaket versucht werden. Schäuble hat Merkel aufmerksam angeschaut, den Kopf auf die rechte Hand gestützt. Was er gedacht hat, bleibt sein Geheimnis.

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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