Glosse:Das Streiflicht

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Von vielen lieb gewonnenen Gewohnheiten mussten wir schon Abschied nehmen. Und jetzt soll uns noch unser liebster Mittagsgruß genommen werden.

(SZ) Was war das Büro doch für eine wunderbar intakte Welt, damals, in der guten alten Zeit? Der Chef - nein, nix "m/w/d", er war immer nur "m" - war eine Respektsperson, vor der sich der normale Angestellte niederwarf und dreimal mit der Stirn auf den Boden titschte, die Sekretärin des Chefs kochte Kaffee und organisierte abendliche Treffen mit Geschäftspartnern oder Damen, von denen die Frau des Chefs nichts wissen durfte. Der aufstrebende Herr Abteilungsleiter orientierte seinen Führungsstil an Iwan dem Schrecklichen, und der hauptamtliche Büro-Gigolo tat den ganzen Tag nichts anderes, als die jungen Kolleginnen anzubaggern, die jeder mit "Frollein" ansprach, bis sie heirateten und für immer im Haushalt ihres Gatten verschwanden. Das Beste aber war die Mittagspause. Nicht wegen des Kantinenessens, das oft schmeckte wie ein Landsknecht-Menü in Wallensteins Lager, sondern wegen des kollegialen Miteinanders bei Tisch, wo man erfuhr, wer gerade mit wem und - noch spannender - wessen wohlverdienter Rausschmiss unmittelbar bevorstand. Für die Teilnahme gab es ein Codewort, eine Parole, die man vor jedem hersagen musste, der sich in der Kantine, auf dem Weg dorthin oder auf dem Rückweg befand. Dieses Zauberwort lautete so schlicht wie anheimelnd: Mahlzeit.

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