Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Der Philosoph Michael Bordt hat ein Buch geschrieben, dessen Titel eine Art Briefing für den nächsten Lockdown verspricht: "Die Kunst sich selbst auszuhalten - Ein Weg zur inneren Freiheit". Man geht sich inzwischen manchmal ja wirklich selbst auf die Nerven, und wenn äußerliche Freiheiten vorübergehend eingeschränkt werden, wäre es doch toll, wenigstens innerlich mal wieder ein paar Ketten zu sprengen. Der Autor ist außerdem unverdächtig, sich an den umfangreichen Nervenschäden bereichern zu wollen, die die Pandemie bei allen hinterlässt, sein Werk erschien 2013. Manche Erkenntnis aber überdauert die Zeit, in diesem Fall jene, dass die Begriffe Emotion und Gefühl besser nicht gleichzusetzen sind. Es sei vielmehr so, schreibt Bordt, dass Gefühle sich zusammensetzten aus aktiven Teilen (Emotionen) und passiven wie dem Affekt. Handeln Menschen in einem solchen, etwa beim Streiten, verwechseln sie "die Reduktion der eigenen Spannung mit der Lösung eines Sachproblems". Wer wiederum den Spannungsabfall dieses Textes bis hierhin verkraftet hat, dem sei der folgende Absatz empfohlen, er trägt womöglich zur Lösung eines Sachproblems bei.

Die Neurowissenschaftlerin Natalie Holz vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik hat zwar kein Buch geschrieben mit dem Titel "Die Kunst einander auszuhalten", sie hat aber der Deutschen Presse-Agentur soeben von einer interessanten Studie berichtet. Mehr als 1000 Audioschnipsel "nonverbaler Laute wie Schreien, Lachen, Seufzen, Ächzen und Stöhnen" testete Holz an Probanden. Ergebnis: Äußern Menschen ihre Emotionen sehr intensiv, werden sie oft missverstanden. Bei "extrem intensiven Gefühlen" etwa konnten Zuhörende "einzelne Emotionen wie Überraschung oder Triumph nicht mehr sicher unterscheiden", schreibt dpa - eine gefährliche Unschärfe, die wiederum - *ächz*! - der Emotionsveräußernde im Affekt nur selten mitbekommen dürfte. Deshalb hier noch einmal in größter Klarheit die inhaltliche Botschaft: Je eindeutiger sich eine Emotion für einen Emotionsinhaber anfühlt, desto weniger genau kann sie tendenziell von Dritten auch so wahrgenommen werden.

Für das Streiten über die Festtage heißt das eher nichts Gutes. Was könnte helfen? Vielleicht könnten es die Bilder von Édouard Manet, an denen nicht nur der Künstler Jeff Koons "die vollständige Abwesenheit von Zorn" schätzt. Helfen kann aber auch die Ahnung, dass es immer Leute geben wird, die sich noch schlechter mitteilen können als man selbst - siehe zum Beispiel den On-off-Beziehungsunfall der Serienfiguren Jennifer Schirrmann und Bernd Stromberg. In einem ihrer vielen Streits sagt Stromberg entnervt, "Ah, du weißt doch, was ich mein'". Schirrmann erwidert patzig, "Ja, ich weiß genau, was du meinst". Darauf wiederum Stromberg, "Ja so mein' ich das jetzt doch gar nicht!"

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