Giesbert von Romberg:Die Zechkumpane von der Tuckesburg

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Besuch in Münster, wo Giesbert von Romberg als "der tolle Bomberg" eine Karriere machte, die an Münchhausen erinnert.

Von Rudolf Großkopff

Da war er mal wieder in Hochform. Im Landtag zu Münster ging es um die Vorrechte des Adels. Auf dem Höhepunkt der Debatte rief ein Konservativer: "Der westfälische Adel steigt nicht zum Volk herab." Bald darauf fuhr ein bekannter Blaublüter durch die Stadt, ließ die geschmückte Kutsche vor einem Barbierladen halten, den Chef holen und sich von ihm rasieren. Ein Helfer des Mannes verkündete währenddessen: "Der westfälische Adel steigt nicht zum Volk herab." Jeder wusste, wer und was gemeint waren.

Der Spötter hieß Giesbert Freiherr von Romberg. Dass er bei dieser Aktion wie bei vielen anderen seine Standesgenossen düpierte, war ihm sehr wohl bewusst. Sie zu ärgern war ihm sogar immer wieder ein Hochgenuss. Bereits zu Lebzeiten (1839 bis 1897) hatte er als notorischer Provokateur einen Ruf wie Donnerhall. Aber endgültig berühmt und berüchtigt wurde er erst ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod, als ihn der Schriftsteller Josef Winckler zur Hauptfigur seines "westfälischen Schelmenromans" mit dem Titel "Der tolle Bomberg" stilisierte.

In der Stadt wussten viele nur: Es gab doch mal diesen völlig bekloppten Adeligen ...

Winckler verband viel Dichtung und viel Wahrheit miteinander und hatte damit großen Erfolg. Bis heute sind davon mehr als 750 000 Exemplare verkauft worden. Erst vor drei Jahren ist eine Neuausgabe erschienen. Als junge Münsteraner wussten wir freilich kaum mehr, als dass es da einen total bekloppten Adeligen gegeben hatte. Grund genug, bei einer Reise in die Heimatstadt einmal den Spuren dieses merkwürdigen Mannes zu folgen und einiges über ihn zu erfahren.

Erste Station: Der größte Buchladen der Stadt. Eine Buchhändlerin hat weder vom Buch noch von Romberg noch vom Autor gehört. Ihre jüngere Kollegin indessen weiß mehr und findet heraus, dass der Titel in einer anderen Filiale vorrätig ist. Immerhin. Beim weiteren Gang durch die Stadt überkommt den Besucher ein kurzer Anfall von Stolz: So kultiviert, so viel Geschichte, so gepflegt. Zumal wenn man aus dem teilweise so schrabbeligen Berlin kommt, kann es einen überraschen, wie viel Münster von seinem Flair über die Verheerungen des Krieges und die Sünden des Wiederaufbaus hinweg gerettet hat. Da beginnt man sogar zu ahnen, wie der Freiherr sich hier bewegt hat. Unser Ziel: Das Stadttheater mit einem für die meisten völlig unerwarteten Bezug zu Romberg.

Die große wilde Zeit Giesberts begann, als sein strenger, sparsamer Vater 1859 starb. Bis dahin hatte der Sohn das wenig abwechslungsreiche Leben eines jungen Landadeligen geführt. Nun verfügte er unter anderem über ein Palais in Münster. Das konnte ihm als Basislager dienen für das aufregende Leben, das zu führen er entschlossen war. Später war der wuchtige Bau im Renaissancestil an das Stadttheater verpachtet. Schließlich zerstörten es die Bomben im Zweiten Weltkrieg. Aber dabei blieb die Rückfassade erhalten. In den Fünfzigerjahren bauten junge Architekten ein neues Theater, das als "Donnerschlag" in der Architektur gerühmt wurde. Eine der genialen Ideen war es, die Palais-Rückfassade als Diagonale im Innenhof stehen zu lassen.

In Theaterpausen mutet das massive Mauerstück an wie eine Kulisse aus einer Verdi- oder Puccini-Oper und erinnert auch an den machtbewussten Edelmann, der hier in großem Stil gelebt hat. Von hier aus organisierte also der neue Hausherr seinen Wirbel von Bällen, Gelagen, Jagden und anderen Amüsements. Dabei spielte der Alkohol eine so große Rolle, dass öfter am Tag danach die Handwerker anrücken mussten, weil wieder Mobiliar oder Glas zu Bruch gegangen waren. Aber es sprach sich bei den Geschädigten rasch herum, dass der freiherrliche Berserker alle Kosten umstandslos und großzügig beglich beziehungsweise von seiner Rentei begleichen ließ. Immer wieder dachte er sich Schabernack aus, der auf Kosten anderer ging. Das konnte harmlos daherkommen wie die Parodie auf eine adelige Jagdgesellschaft. Fotos zeigen, dass er und seine Freunde die übliche Jagdkutsche durch einen klapprigen Leiterwagen und die Pferde durch ein dürres Eselchen ersetzt hatten.

Sehr rüde ging es bei einer Tollheit zu, die viele Münsteraner noch von einer malerischen Darstellung kennen. Das Bild hing lange in dem beliebten Café Grotemeyer und zeigt, wie ein fescher Uniformierter wie bei einem Sprungwettbewerb mit seinem Pferd über einen festlich gedeckten Tisch setzt. Die Gäste an der Tafel können nicht mehr reagieren, weil das Unerhörte so überfallartig geschieht wie in einer Szene aus dem wilden Westen. Bei einer Verkleinerung des Cafés vor einigen Jahren verschwand das Bild - wohl weil es zu groß war.

Ein paar Telefonate ergeben, dass es jetzt in der Traditionsgaststätte "Großer Kiepenkerl" hängt. Dort weiß ein deutscher Kellner nichts von einem Bild. Sein Kollege mit migrantischen Wurzeln aber führt uns in den Festsaal. Dort sind heute die Tische ähnlich gedeckt wie auf dem neben dem Eingang hängenden Bild - mit seiner Höhe von drei Metern noch größer als in der Erinnerung. Sein künstlerischer Wert hält sich in Grenzen, aber es überzeugt durch Drastik und Dramatik. Dem Freiherrn hätte es vermutlich gefallen.

Hermann Landois scheffelte Geld, und Romberg warf es mit vollen Händen hinaus

Romberg hatte neben seinen Saufkumpanen in der Stadt einen Bruder im Geiste. Auch Professor Hermann Landois, von der Kirche ausgemusterter Theologe, war ein Exzentriker, jederzeit für einen Unfug gut. Sein Lebenswerk war der Zoologische Garten. Was er anstellte, war immer auch Werbung für dieses Projekt. So baute er sich am Rande des Zoo-Geländes als Wohnsitz die "Tuckesburg", die aus einer himmelschreienden Stilmixtur bestand. Er behauptete, eine Burg wiederaufgebaut zu haben, die hier in Vorzeiten einmal gestanden habe. In Wahrheit hatten hier die Scharfrichter der Stadt ihr Handwerk verrichtet. Sein Mitbewohner war ein Affe namens Lehmann, dem er aber zu viel Bier zu trinken gab, sodass dieser alsbald verschied. Eine Skulptur zu Ehren des lieben Toten gab Landois selbst in Auftrag, und die Rede anlässlich ihrer Einweihung hielt er zur Sicherheit ebenfalls selbst.

Landois und Romberg sollen einander ermuntert und angeregt haben in ihrem Treiben. Auch gehörte der Freiherr der Zoologischen Abendgesellschaft an, die Landois als Geldquelle gegründet hatte. Der Verein führte von ihm selbst verfasste Unterhaltungsstücke auf, in denen meist stämmige Männer alle Rollen übernahmen, auch die der Tänzerinnen.

Was die beiden Männer verband, war ihre Verachtung gängiger gesellschaftlicher Normen und ihre schiere Lust an der Provokation. Aber es gab auch Unterschiede. Landois, der aussortierte Theologe, war zugleich ein ernsthafter Wissenschaftler, der an seinen Projekten arbeitete. Romberg dagegen war in seiner Grundhaltung destruktiv. Entsprechend ihr Verhältnis zum Geld: Landois sammelte es, Romberg warf es mit vollen Händen hinaus.

Das Leben, das er führte, war ja nicht nur aufregend, sondern auch teuer. Viele vermuteten, er bringe das Familienvermögen durch. Deshalb versuchten Verwandte, ihn entmündigen zu lassen. Aber die Gerichtsverhandlungen ergaben, dass er das Vermögen (Zechen, Fabriken, Landwirtschaft) nicht nur nicht gefährdet, sondern sogar gemehrt hatte. Die Rombergs gehörten also weiterhin zu den Reichsten im Lande. Ein großer Sieg über seine Feinde und Neider.

Illustration: SZ-Grafik (Foto: SZ-Grafik)

Dirigiert wurde das kleine Wirtschaftsimperium von Buldern aus, einem kleinen Dorf südwestlich von Münster. Dort steht das Stammschloss der Rombergs. Um es zu erreichen, fuhr der Freiherr mit der Eisenbahn. Heute durchqueren die meisten die münsterländische Tiefebene mit dem Auto. Ein stilles Land. Kleinteilig, keine Monokulturen. Breitgelagerte Gehöfte. Ein Netz von "Pättkes", also von ungepflasterten Wegen, erschließt den Radfahrern diese Region. Wenn der Gast Glück hat, erlebt er noch einmal den Zauber dieser Landschaft, wie ihn Annette von Droste-Hülshoff beschrieben hat: "Seltsames schlummerndes Land, so leise, seufzender Strichwind, so träumende Gewässer."

Ob der Freiherr Sinn für diese Schönheit hatte? Wir wissen es nicht.

Der Ausflug zu seinem Schloss endet im Jahr 2019 jäh vor dem Eingang zu einem weitläufigen Park. Keine Einladung zur Besichtigung, wie in vielen Schlössern heute üblich, kein Souvenirshop, kein Café, keine Schlosskapelle mit Friedhof, kein Denkmal für den berühmtesten Schlossherrn. Die heutigen Besitzer haben die Immobilie komplett an ein Landschulheim samt Internat verpachtet und für Besucher geschlossen.

Immerhin ist ein weißes Herrenhaus zu erkennen, spätklassizistisch. An den Seiten dienen zwei etwas merkwürdig anmutende Gebäudeteile als Begrenzung, eine Mischung aus Turm und Pavillon. Hier also herrschte Giesbert, und von hier aus brach er auf, wenn er die Welt der Städte erleben wollte. Die Reise begann und endete stets mit einem Ärgernis: Die Planer hatten für Buldern keinen Bahnhof vorgesehen. Zumindest bei der Rückkehr half sich der Schlossherr freilich auf seine Weise. Jedes Mal, wenn der Zug Buldern passierte, zog er die Notbremse. Das fällige Bußgeld beglich er ohne Widerstreben. Das Spiel trieb er so lange, bis die Bahnverwaltung für ihn (und andere Interessenten natürlich) einen neuen Haltepunkt spendierte. Er war der kleinste weit und breit, aber er tut noch heute seinen Dienst.

In Adelskreisen galten aufsässige Kinder lange Zeit schlicht als "Rombergs"

Rombergs Ruf war naturgemäß sehr zwiespältig. Solange sie selbst nicht von seinen Streichen betroffen waren, amüsierten sich auch viele brave Bürger darüber. Es gab auch Respekt für seine geschäftlichen Erfolge. Ziemlich einhellig war der Ärger bei seinen durchweg sehr konservativen Standesgenossen. Eine ältere Dame von Adel erinnert sich, über aufsässige Sprösslinge habe es geheißen, das seien "Rombergs".

Josef Winckler: Der tolle Bomberg. 1923 (hier dtv, 1980). In der Reihe „Deutschlandreise“ besuchen SZ-Autoren Schauplätze der Literatur und der Geschichte. Nächste Folge: Zuhause bei Grimmelshausen – eine Zeitreise nach Gelnhausen. (Foto: x)

In Buldern hinterließ seine Prominenz ihre Spuren. Am Bahnhof trägt ein Restaurant bis heute seinen Spitznamen. Allerdings steht es zur Zeit leer; bis vor Kurzem war es ein griechisches Lokal. Im Ortskern ist eine Straße nach Romberg benannt, und auf dem Dorfplatz steht ein Denkmal mit Szenen aus der Geschichte Bulderns. Giesbert ist mit dem unvergesslichen Ritt in die Tischrunde vertreten. Bei Ortsfesten trat bis vor einigen Jahren ein Laiendarsteller als "Toller Bomberg" auf, aber seit dessen Tod ist die Rolle verwaist.

Etwas umständlich ist die Suche nach der letzten Spur, dem Grab. Auf dem Friedhof ist nichts zu finden. Eine Mitarbeiterin im Pfarrbüro und ein freundlicher Dorfchronist können weiterhelfen. Ursprünglich waren die Rombergs im benachbarten Raum Dortmund ansässig. Dort existierte ein großes Familiengrab. Aber der Kohleabbau führte zu Bergschäden, die auch diesen Friedhof in Mitleidenschaft zogen. Also kaufte die Familie 1913 kurzerhand eine ganze Kirche. Sie war frei geworden, weil die Gemeinde eine neue, größere Pfarrkirche bekommen hatte. In einem Raum zwischen Turm und Schiff liegen nun viele Rombergs vereint, darunter auch Giesbert, der tolle.

Die Särge sind in drei engen Reihen von Sargkammern übereinandergestapelt und eingemauert. Die Vorderseiten sind alle gleich beschriftet: Name, Lebensdaten, dazu ein Kreuz. Die Grabreihen sind ziemlich hoch angebracht, sodass der Besucher nur schwer die Inschriften entziffern kann. So exzentrisch und raumgreifend Giesbert von Romberg also gelebt hat, so platzsparend und unaufwendig liegt er jetzt hier.

Nachtrag: Auf dem heimischen Schreibtisch findet sich ein lange erwarteter Aufsatz des Historikers Wolfgang Delseit wieder. Er warnt davor, den realen Romberg und Josef Wincklers Romanfigur Bomberg miteinander zu verwechseln. Romberg sei erst durch literarische Fantasien zu einer mythischen Figur geworden, schreibt er. Der wahre Romberg sei ein seinen adeligen Standesgenossen weit überlegener Mann gewesen. Zum Ausgleich für seine große Verantwortung habe er ein Leben als Bonvivant geführt. Mit anderen Worten, es gelte, die historische Figur von literarischen Übertreibungen zu befreien.

Uns allerdings hat eine sehr alte Dame in Buldern gesagt: "Nichts ist übertrieben. Gar nichts."

Der Autor, geboren 1935 in Münster, ist Journalist. Von ihm stammen unter anderem die Bücher zu den ARD-Serien "Unsere 50er Jahre" und "Unsere 60er Jahre".

© SZ vom 31.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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