Gewerkschaften:Brüder, zur Sonne, zur Freizeit

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In den Tarifabschlüssen geht es meist um mehr Geld - die Beschäftigten der Deutschen Bahn wollen aber lieber mehr Urlaub.

Von Detlef Esslinger

Wofür kämpfen Gewerkschaften, in sämtlichen Branchen, in sämtlichen Firmen? Jahrzehntelang kamen ihre Funktionäre vor allem auf die Idee, jeweils mehr Geld für die Arbeitnehmer herauszuschlagen. Die Frage, ob etwas anderes wichtiger sein könnte, stellte sich nicht. Mittlerweile aber vielleicht doch. Bei der Deutschen Bahn (DB) konnten 128 000 Beschäftigte nun wählen, was sie lieber möchten: mehr Geld, weniger Wochenstunden oder mehr Urlaub. Das Ergebnis: Einer Mehrheit ist nicht mehr das Geld, sondern mehr Urlaub das Wichtigste.

Dass die Beschäftigten wählen konnten, war in den jüngsten Tarifabschlüssen des Konzerns mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) sowie der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) vorgesehen. Die Verträge sehen Lohnerhöhungen in zwei Stufen vor: um 2,5 Prozent zum 1. April 2017 sowie um weitere 2,6 Prozent zum 1. Januar 2018. Statt dieser zweiten Erhöhung können die Arbeitnehmer jedoch auch sechs Tage zusätzlichen Urlaub oder eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit um eine Stunde (auf 38 Stunden) nehmen. Bis Ende Juni musste jeder sich entscheiden, am Freitag teilte die Bahn der Süddeutschen Zeitung auf Anfrage das Ergebnis mit.

56 Prozent der Arbeitnehmer, für die die beiden Tarifverträge gelten, entschieden sich für mehr Urlaub. 41,4 Prozent nehmen lieber das Geld, wohingegen die Verkürzung der Wochenarbeitszeit nur für die allerwenigsten interessant ist: Diese Möglichkeit wird nur von 2,6 Prozent der Beschäftigten bevorzugt. Frauen ist mehr Urlaub deutlich wichtiger als mehr Geld: Sie wählten zu 63 Prozent diese Option. Ältere Arbeitnehmer wiederum bevorzugen das Geld: Die über 60-Jährigen entschieden sich zu 69 Prozent dafür, und nur zu knapp 30 Prozent für den Urlaub. "Das Wahlrecht entspricht den Bedürfnissen der Arbeitnehmer", sagt DB-Vorstand Ulrich Weber. Ältere wollen lieber ihre Beiträge zur Rentenversicherung noch etwas aufstocken, Jüngere mehr Zeit für die Familie haben - zumal in einem Schicht- und Fahrbetrieb wie der Bahn.

Nun wäre es vermessen, von deren Beschäftigten auf alle Beschäftigten im Land zu schließen. Dafür ist die DB zu speziell. Aber womöglich ist es keine Überraschung, wie sich die Beschäftigten in dem Konzern entschieden haben. Jedenfalls passt es in eine Zeit, in der die Gesellschaft diskutiert, wie Beruf und Familie besser zu vereinbaren sind als bisher, wie man kleine Kinder oder kranke Eltern nicht dauernd vernachlässigen muss wegen der Arbeit. Die IG Metall bereitet derzeit ihre Tarifrunde im Winter vor, auch diese Gewerkschaft wird nicht nur mehr Geld verlangen, sondern auch neue Arbeitszeitmodelle. Und bei ihr wird es nicht um 128 000 Arbeitnehmer gehen, sondern um fast vier Millionen.

GDL und EVG sehen sich beide bestätigt. GDL-Chef Claus Weselsky sagt, die Wahlregelung mache die Berufe des Zugpersonals "insgesamt wieder attraktiver". Und EVG-Vize Regina Rusch-Ziemba findet, die Zeit sei vorbei, in der eine Gewerkschaft anstatt der Arbeitnehmer entscheidet, ob es mehr Geld oder mehr Freizeit gibt: "Das soll jeder für sich beantworten dürfen."

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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