Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft:"Wir nehmen die Realität zur Kenntnis"

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Jahrelang wollte die Gewerkschaft zu viel beim Versuch, die Lehrer-Bezahlung neu zu regeln. Immer scheiterte sie. Nun, vor der entscheidenden Tarifrunde, lenkt ihr Vorstand Andreas Gehrke ein.

Interview von Detlef Esslinger

An diesem Donnerstag beginnt in den Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der Länder die entscheidende Runde. Bis Freitagabend soll in Potsdam ein von Arbeitgebern und Gewerkschaften erzieltes Ergebnis stehen. Letztere fordern ein Plus in einem Volumen von sechs Prozent - wobei sie bislang offengelassen haben, wie viel davon auf eine prozentuale Erhöhung aller Gehälter entfallen soll. Das Besondere an dieser Tarifrunde ist, wie die Gehälter der Akademiker angehoben werden sollen - durch eine neue sechste Entgeltstufe in den sie betreffenden Entgeltgruppen 9 bis 15. An Warnstreiks beteiligten sich in den vergangenen zwei Wochen auch viele der 200 000 angestellten Lehrer. Seit 2006 verlangt ihre Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) von den Ländern eine neue, teure Entgeltordnung; immer vergeblich. Nun kündigt ihr Vorstandsmitglied Andreas Gehrke an, auch mit einer billigeren Variante zufrieden zu sein.

SZ: Haben Sie sich eigentlich gewundert, dass in den vergangenen Tagen überhaupt noch Lehrer mitgestreikt haben?

Andreas Gehrke: Nein, habe ich nicht. Wir haben doch anständige Forderungen gestellt. Je nach Bundesland haben zwischen 20 und 40 Prozent der angestellten Lehrer bei den Warnstreiks mitgemacht.

Seit elf Jahren versuchen Sie nun, in den Länder-Tarifrunden die Bezahlung der angestellten Lehrer per neuer Entgeltordnung grundsätzlich zu regeln, immer vergeblich. Allmählich müssten die Lehrer an ihrer Gewerkschaft verzweifeln.

Diesmal ist für uns sehr wichtig, dass die Länder für alle ihre Akademiker, also ihre Beschäftigten in den Entgeltgruppen 9 bis 15, eine sechste Entgeltstufe einführen. Das heißt, es geht also zunächst nicht darum, dass wir mit den Ländern eine Entgeltordnung für die Lehrer verabreden, die regelt, wie viel ein Lehrer künftig je nach Erfahrung, Schultyp und Tätigkeit bekommt.

Allerdings befinden sich unter den genannten Akademikern sehr viele Lehrer - die von dieser sechsten Stufe also besonders profitieren würden. Wie hoch wäre deren Gehaltsplus?

Sie demonstrieren nun im elften Jahr: Am Mittwoch verlangten Tausende angestellte Lehrer (hier in Dresden), dass endlich rechtsverbindlich geregelt wird, wer für welchen Job an welcher Art von Schule wie viel Geld bekommt. Dieser Betrag wäre sodann die Basis für regelmäßige Tariferhöhungen. (Foto: Max Stein/imago)

Das müssen die Verhandlungen ergeben. Beim Bund gibt es die sechste Stufe seit einem Jahr, bei den Kommunen schon seit 2005. Dort bedeutet sie ein Plus von 200 bis 250 Euro im Monat.

Nun sagt allerdings der Verhandlungsführer der Länder, Niedersachsens Finanzminister Schneider, er führe diese sechste Stufe für alle Beschäftigten nur ein, falls die GEW endlich mit ihm eine Entgeltordnung für die Lehrer vereinbart. Er will nicht allen Beschäftigten Gutes tun und dann am nächsten Tag von der GEW bestreikt werden, weil sie noch mehr Geld für die eine Gruppe der Lehrer herausschlagen will.

Ob wir das tun, hängt von einer Gesamteinigung und damit auch der Einführung der Stufe sechs ab. Aber ich habe für seine Position Verständnis. Wir wollen die sechste Entgeltstufe, na klar, und werden uns entsprechend verhalten.

Bisher sind Ihre Gespräche mit den Ländern über eine Entgeltordnung stets gescheitert, weil Sie dabei die Gehälter kräftig erhöhen wollten. Der Beamtenbund hingegen hat 2015 mit den Ländern eine Entgeltordnung für Lehrer geschaffen. Er war damit zufrieden, vorerst ein Plus von 30 Euro in jeder Entgeltstufe zu vereinbaren. Richtig zusammengefasst?

Richtig zusammengefasst. Wir werden unser Verhältnis zu dieser Vereinbarung neu justieren und uns einbringen in Tarifverhandlungen zu einer Entgeltordnung für Lehrer.

Das heißt, die GEW gibt ihren langjährigen Alles-oder-nichts-Kurs auf?

Wenn Sie den so bezeichnen wollen, dann geben wir ihn auf. Unser Ziel war es immer, eine vernünftige Eingruppierung der Lehrer zu erreichen und die Gehälter der angestellten Lehrer den Gehältern der beamteten anzugleichen. Das schien uns vor zwei Jahren nicht der Fall zu sein. Deswegen haben wir nicht unterschrieben. Aber wir nehmen natürlich die Realität zur Kenntnis.

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(Foto: Kay Herschelmann)

Der gelernte Grund- und Hauptschullehrer Andreas Gehrke, 61, ist im GEW-Vorstand für Tarifpolitik zuständig. Er vertritt seine Gewerkschaft bei den Tarifverhandlungen der Länder an diesem Donnerstag und Freitag.

Rechtlich gilt ein Tarifvertrag, auch über eine Entgeltordnung, immer nur für die Mitglieder derjenigen Gewerkschaft, die ihn abgeschlossen hat - in dem Fall also für Lehrer, die im Beamtenbund sind. Ist die Realität, dass die Länder inzwischen auch alle GEW-Lehrer auf dieser Grundlage bezahlen?

Soweit wir wissen, wird der Tarifvertrag für alle Lehrer angewandt. So machen es ja immer sämtliche Arbeitgeber in sämtlichen Branchen: Sie bezahlen all ihre Arbeitnehmer nach Tarif, nicht bloß die Gewerkschaftsmitglieder.

Das klingt sehr danach, als müsse die GEW nun dringend vermeiden, als Lehrergewerkschaft bedeutungslos zu werden.

Das Gegenteil ist der Fall: Mit der Stufe sechs und dem damit verbundenen Einstieg in die Entgeltordnung gestalten wir die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte weiterhin tarifvertraglich mit.

© SZ vom 16.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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