Es ist selten, dass sich Grundrechte in konkrete Mengenangaben umrechnen lassen. Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg hat es trotzdem versucht - und damit einige Aufregung verursacht: Wer nach Verbüßung seiner Strafhaft in Sicherungsverwahrung genommen werde, dem stehe eine Zelle von 20 Quadratmeter zu, zuzüglich Nasszelle und Kochgelegenheit. So steht es in einem Beschluss vom 30. November, der nun in den Justizministerien der Länder die Runde macht. Deren Arbeitsgruppe hatte nämlich 15 Quadratmeter für ausreichend gehalten.
Hintergrund des Streits um die Zellengröße ist das "Abstandsgebot", welches das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dekretiert haben. Danach müssen Sicherungsverwahrte besser untergebracht werden als normale Strafhäftlinge - und vor allem ausreichende Therapieangebote bekommen. Denn sie bleiben allein zur Sicherheit der Allgemeinheit weiter eingesperrt, obwohl sie ihre Haftstrafe eigentlich verbüßt haben.
Fünf Quadratmeter mehr: Würde die Zahl verbindlich, kämen beträchtliche Mehrkosten auf die Länder zu. Nordrhein-Westfalen will für einen zweistelligen Millionenbetrag die Justizvollzugsanstalt in Werl ausbauen, Bayern plant einen Neubau auf dem Anstaltsgelände in Straubing; 20 Millionen Euro sind dafür veranschlagt. Während man in NRW noch keine Zellengröße festgelegt hat, will Bayern den 84 Untergebrachten eben jene 15 Quadratmeter bieten.
Dabei soll es auch nach dem Naumburger Beschluss bleiben, und zwar nicht nur, weil das sachsen-anhaltische OLG in Bayern nichts zu Sagen hat: "Karlsruhe hat - in Kenntnis unserer Planungen - bewusst keine Mindestgröße für die Hafträume vorgesehen", sagt Justizministerin Beate Merk (CSU). Entscheidend sei nach dem Urteil des Verfassungsgerichts ein stimmiges Gesamtkonzept aus Angeboten für Behandlung und Beschäftigung, für Freizeit und Sozialkontakte - und nicht der isolierte Blick auf die Zellengröße.
Dass die Naumburger Entscheidung vorerst eine begrenzte Ausstrahlung haben wird, hat aber noch einen weiteren Grund. Thema des Beschlusses war gar nicht die Zellengröße, sondern der Versuch eines Häftlings, seinen Anspruch auf ein Fernsehgerät gerichtlich durchzusetzen. Der 20-Quadratmeter-Satz fiel nur nebenbei - obiter dictum, wie die Juristen dies nennen.
Das könnte ein Hindernis auf dem Weg zum Bundesgerichtshof (BGH) und damit zur bundesweiten Verbindlichkeit sein. Zwar muss ein OLG den BGH anrufen, wenn es bei bestimmten Strafvollstreckungs-Verfügungen von einem anderen OLG abweicht - allerdings nur, wenn es sich dabei um einen tragenden Grund der Entscheidung handelt und nicht um ein obiter dictum. Hinzu kommt: Für den Strafvollzug ist der BGH normalerweise gar nicht zuständig, da ist beim OLG Schluss.
Trotzdem wäre das OLG Naumburg nicht gehindert, seine Haltung zur Mindestgröße bei passenderer Gelegenheit verbindlich zu machen. Vorbilder dafür gibt es: Vor Jahren waren mehrere Gerichte mit der Frage befasst, wann beengte Haftbedingungen die Menschenwürde verletzen; das OLG Karlsruhe etwa sprach einem Häftling Schmerzensgeld zu, weil er drei Wochen mit einem Mithäftling auf neun Quadratmetern hausen musste. Entscheiden würde am Ende wieder das Bundesverfassungsgericht - das aber mit konkreten Quadratmeterangaben zurückhaltend sein dürfte.