Generationenvertrag:Familien im Teufelskreis

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CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla möchte, dass in Zukunft erwachsene Kinder mit ausreichendem Einkommen Unterhalt für ihre arbeitslosen Eltern bezahlen.

Cathrin Kahlweit

Ronald Pofalla erweist sich in diesem innenpolitisch nachrichtenarmen Sommer als wahres Multitalent: Der CDU-Generalsekretär ist Bundestagsabgeordneter, Sozialpädagoge, Jurist - und neuerdings gibt er sich auch als Populist. Sein jüngster Vorschlag lautet, erwachsene Kinder mit ausreichendem Einkommen sollten in Zukunft Unterhalt für ihre arbeitslosen Eltern zahlen.

Beifall bekommt er dafür von jenen, die eine Sanierung des Staatshaushaltes verstärkt durch die Verlagerung von Lasten auf Privathaushalte erreichen wollen. Ärgerlicherweise sind die Betroffenen, um nicht zu sagen die Opfer dieser Politik, in den meisten Fällen Familien.

Charme nur auf dem ersten Blick

Auf den ersten Blick hat der Vorschlag einigen Charme: Ist es nicht richtig, dass man in der Familie traditionell füreinander da sein sollte? Und sollten nicht Kinder genauso für ihre Eltern einstehen müssen, wie diese jahrelang finanziell für Lebensunterhalt, Erziehung, Ausbildung oder Studium ihrer Kinder einstanden? Müsste nicht die Generation der Erben viel mehr abgeben an die wachsende Gruppe der Alten, die von Arbeitslosigkeit und schwindenden Rentenansprüchen geplagt wird?

Der ungeschriebene, aber nach wie vor allseits akzeptierte Generationenvertrag sieht dies vor. Der galt schon in vorindustriellen Zeiten, als eine möglichst hohe Kinderzahl die Versorgung der arbeitsunfähigen Alten sichern sollte, und er galt weiter mit der Entstehung der bürgerlichen Familie im 19. Jahrhundert, als die soziale Absicherung durch den Staat als Zusatz, nicht etwa als Ersatz zur Familiensolidarität erfunden wurde.

Allein die glücklichen Babyboomer der Nachkriegszeit waren selten in der Pflicht, ihre Eltern im Notfall zu unterstützen: Die Rentenkasse war gut gefüllt, die Arbeitslosenquote niedrig, und sowohl die mittlere als auch die ältere Generation häufte Wohlstand an.

Diese Zeiten sind vorbei. Und dennoch haben zahlreiche Studien ergeben, dass die "Verantwortungsgemeinschaft", die der Diplom-Sozialpädagoge Pofalla einklagt, auf privater, freiwilliger Ebene - allen Unkereien über den Zerfall der Familie zum Trotz - durchaus noch funktioniert. Etwa zehn Prozent ihres Einkommens wendet die ältere Generation im Durchschnitt auf, um ihre Kinder bei der Familiengründung oder Altersvorsorge zu unterstützen; umgekehrt werden bis zu 90 Prozent aller pflegebedürftigen oder kranken alten Menschen von ihren Familien versorgt.

In wenigen Jahrzehnten schon wird ein Beitragszahler einen Rentner finanzieren müssen, Altersarmut wird weiter zunehmen, ebenso die Zahl der Pflegefälle. Aus gutem Grund hat die rot-grüne Regierung die private Vorsorge ausgeweitet und zugleich die finanziellen Pflichten von Kindern gegenüber ihren Eltern eingeschränkt - mit der Begründung, beides zugleich sei zu viel. Schließlich sind die privaten Geldflüsse von unten nach oben, von den Jungen zu den Alten, eher mager.

Pech für die Sandwich-Generation

Kein Wunder: Die so genannte Sandwich-Generation der 35- bis 55-Jährigen sieht sich eingekeilt in der Verantwortung für Kinder und Eltern und finanziell ausgequetscht von allen Seiten. Sie soll Geld in ihre Kinder, also in die Steuer- und Rentenzahler von morgen investieren, immer mehr Geld für die eigene Altersvorsorge zurücklegen, und muss - bei Pflegeversicherung und Grundsicherung - schon heute einen Teil der Kosten übernehmen, die sich der Staat für die Versorgung ihrer Eltern zurückholt.

Das Ganze ist ein Teufelskreis: Die mittlere Generation kann wenig Vermögen bilden, und sie muss das, was sie gespart hat, zum Teil wieder abgeben. Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof haben - das müsste der Jurist Pofalla wissen - dieser Mehrfachbelastung einen Riegel vorgeschoben: Bei den Drei-Generationen-Familien sei für die mittlere Altersgruppe der Elternunterhalt gegenüber dem Kindesunterhalt nachrangig, sagen die Richter.

Und sie verweisen auf eine weitere Ungerechtigkeit, die der Christdemokrat Pofalla verurteilen sollte; die CDU nimmt schließlich für sich in Anspruch, Familien gegenüber anderen Lebensmodellen schützen und besserstellen zu wollen. Die Verfassungsrichter kritisieren, dass jene finanziell besonders stark zur Kasse gebeten werden, die Kinder haben, Singles oder kinderlose Ehepaare aber relativ weniger abgeben müssen. Natürlich: Auch Singles oder Kinderlose haben Eltern; sie werden jedoch von unserem Steuersystem in der Summe bevorteilt.

Eigentlich müsste Pofalla selbst zurückschrecken vor den Folgen seines Vorschlags. Der konservative Historiker Paul Nolte zum Beispiel nimmt an, dass es trotz zunehmender Altersarmut vorerst nicht zu einem Kampf der Generationen kommen wird, weil sich die Schuldigen für die soziale Schieflage nur schwer finden lassen. Deswegen würden die Folgen der Ungleichheit klaglos im privaten Raum abgefedert- noch.

Das wird nicht mehr lange so bleiben. Bald schon werden sich die Familien für die Absicherung der Älteren bis über die Schmerzgrenze hinaus in Anspruch genommen sehen, weil eine grundlegende Reform der Sozialsysteme ausbleibt. Spätestens dann wird der Generationenvertrag aufgekündigt, und es droht ein Aufstand der Familien.

© SZ vom 9. August 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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