Geiselbefreiung:Krisenstab ging auf wichtige Spur lange nicht ein

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Während René Bräunlich und Thomas Nitzschke von den 99 Tagen im Irak berichten, verdichten sich Hinweise, dass die Deutschen schon viel eher hätten frei sein können.

Christiane Kohl und Annette Ramelsberger

Als "nie enden wollende Zermürbung", hat René Bräunlich die Zeit seiner Geiselhaft im Irak erlebt. Sein Mitgefangener Thomas Nitzschke bezeichnet die 99 Tage in der Isolation als "ganz schmerzhafte Form von Folter". In einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung berichteten die sächsischen Techniker am Wochenende über ihre Gefühle während der Geiselhaft, ihre Todesängste und die immer mal wieder aufkeimende Hoffnung.

Waren 99 Tage in Geiselhaft: René Bräunlich (links) und Thomas Nitzschke (Foto: Foto: AFP)

Details über ihre Befreiung oder gar mögliche Lösegeldzahlungen verrieten die beiden Leipziger aber nicht - ganz offenbar wollten sie die Mahnung von Kanzleramtsminister Thomas De Maizière beherzigen, der die Entführungsopfer zu Diskretion und Zurückhaltung gegenüber den Medien aufgefordert hat.

Das Versteck im Irak, in dem die beiden Techniker gefangen gehalten wurden, lag offenbar eine längere Fahrstrecke von Bagdad entfernt. Tagelang habe man sie "in Erdlöchern und Sandkuhlen eingepfercht", berichtet Bräunlich, allerdings habe die Unterbringung auch gewechselt: "Mal war es eine Art Verschlag", so Bräunlich, immer sei ihr Gefängnis jedoch "nur schwach beleuchtet" und fensterlos gewesen.

Es sei "immer dieselbe Gruppe" von Bewachern bei ihnen gewesen, fügte Nitzschke hinzu: "Es stimmt nicht, dass wir 'verkauft' wurden." Fünfmal am Tag hätten die Entführer gebetet, doch hätten sie nicht fanatisch religiös gewirkt: "Sie haben uns gesagt, sie respektieren alle Religionen", so Nitzschke.

Keine Misshandlung

Beide erklärten, nicht misshandelt worden zu sein von den Entführern. Anfangs sei ihnen erklärt worden, die Gefangenschaft werde nur wenige Tage dauern. Später sei dann bei den Entführten immer wieder Hoffnung aufgekeimt, wenn eine neue Video-Botschaft aufgenommen wurde: "Das war für uns wie eine Treppe der Hoffnung", es habe dann stets geheißen, "in fünf bis sechs Tagen seid Ihr frei", sagte Nitzschke - "und dann kam nichts".

Obwohl sich das Gefühl verstärkt habe, dass ihre Entführer mit irgend jemandem verhandelten, sei der Tag der Freilassung dann "völlig überraschend" gekommen, berichtete Bräunlich. Er hatte zunächst gar nicht an seine Befreiung glauben wollen - erst als man ihm im Auto Briefe von seiner Familie überreichte, habe er den Eindruck gewonnen, "dass die Leute es ehrlich meinen".

Auf dubiosen Kontaktmann gesetzt

In deutschen Sicherheitskreisen wird nach Informationen der Süddeutschen Zeitung diskutiert, ob die Geiseln womöglich viel früher hätten freikommen können, wenn der Krisenstab nicht wochenlang auf einen Mittelsmann des Bundesnachrichtendienstes gesetzt hätte, der am Ende keinen Kontakt zu den Geiseln hatte zustande bringen können.

Wie das Magazin Spiegel berichtet, handelte es sich um einen Vermittler, dem die Geheimdienstler den Namen "Knecht" gegeben hatten. Auf ihn hatte der Krisenstab gesetzt, obwohl der deutsche Botschafter im Irak, Bernd Erbel, zwischenzeitlich einen eigenen, viel versprechenden Kanal zu den Entführern aufgetan hatte.

Doch statt mit dem von Erbel kontaktierten Iraker zu verhandeln, setzte Berlin offenbar weiter auf den vom BND legitimierten Vertreter, obwohl alle Erfolge ausblieben. Wie die SZ erfuhr, brachte der Kontaktmann von Botschafter Erbel unterdessen einen Lebensbeweis nach dem anderen von den Geiseln: Aktuelle Briefe der Geiseln, in deutscher Sprache, kamen aus dem Irak nach Berlin, sogar ein Video, das bisher unveröffentlicht ist, wurde dem Krisenstab nach diesen Informationen von dem ungeliebten Vermittler übersandt. Darin sollen die beiden Männer die UN, die Kanzlerin und die deutsche Botschaft um Hilfe gebeten haben.

Wochenlang ging Berlin nicht auf diese Spur zu den Geiseln ein, was die Geiselnehmer nach SZ-Informationen immer nervöser machte und mit dem Abbruch der Gespräche drohen ließ. Laut Spiegel wurde sogar mit der Tötung einer Geisel gedroht. In dieser verfahrenen Situation informierte Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach SZ-Informationen Kanzlerin Angela Merkel. Diese habe nach ihrer Rückkehr aus Tomsk dann entschieden, es doch mit dem Kontaktmann von Botschafter Erbel zu versuchen. Drei Tage später waren die Geiseln frei.

© SZ vom 8.5. 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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