Geheimdokumente:Iranische Umarmung

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Er gilt als die Personifikation der Einflussnahme Irans in der Region: Generalmajor Qassim Soleimani ist Kommandeur der Al-Quds-Brigaden. (Foto: Ebrahim Noroozi/AP)

Die geleakten Papiere zeigen, wie umfassend Teheran inzwischen Einfluss nimmt im einst verfeindeten Nachbarland Irak.

Von Moritz Baumstieger

Ihren Einbruch in die irakische Filiale eines "deutschen Kulturinstitutes" bewerkstelligten die Agenten noch ohne größere Probleme. In den Büros der Institution selbst - gemeint ist offenbar das Goethe-Institut in Erbil - lief die Operation des iranischen Geheimdienstes dann aber nicht wie geplant. Die Agenten hatten falsche Codes, die Safes ließen sich nicht öffnen.

Die Geschichte dieser gescheiterten Mission ist eine unter Hunderten, die sich aus einem Konvolut iranischer Geheimdienst-Depeschen herauslesen lassen, das dem investigativen Internetmagazin The Intercept zugespielt wurde. Gemeinsam mit der New York Times hat das Magazin 700 Seiten Dokumente übersetzt und ausgewertet. Was die beiden Medien nun am Montag simultan unter dem Titel "Iran Cables" veröffentlichten, belegt drastisch, wovor westliche Beobachter seit Langem warnen: Die Islamische Republik Iran versucht aggressiv und unter hohem Einsatz von Mitteln, Personal und offenen wie verdeckten Operationen, das Nachbarland Irak an sich zu binden, dessen Politik und Wirtschaft zu kontrollieren.

Der Bericht vom Einbruch in das Kulturinstitut - von dem die Mitarbeiter nichts bemerkt haben, wie Institutsleiter Thomas Kößler der Süddeutschen Zeitung mitteilt - hat eher anekdotischen Wert. Er ist jedoch ein Beispiel dafür, wie groß Irans Wissensdurst im Irak ist. Wobei der Einbruch "auch mit den richtigen Codes relativ enttäuschend gewesen" wäre, sagt Kößler, "sollten die Agenten erwartet haben, dass wir dort neben unserer Tageskasse auch Staatsgeheimnisse lagern".

Deutlich aufschlussreicher sind hingegen Dokumente, die belegen, wie Iran erst die Invasion der USA 2003 und später deren Abzug nutzte, um seinen Einfluss im Land auszubauen. Von Anfang an setzte Iran darauf, Teheran-freundliche Politiker in Machtstellungen zu bringen und "neue Führer heranzuziehen". Zu Zeiten von Iraks Diktator Saddam Hussein waren die Staaten zwar verfeindet und verloren beide zwischen 1980 und 1988 Hunderttausende Menschen in einem Krieg. Doch Mitglieder der damals unterdrückten schiitischen Bevölkerungsmehrheit orientierten sich immer am schiitischen Nachbarland, lebten teils dort im Exil.

So etwa der heutige Premier Adil Abd al-Mahdi, über den in den Depeschen steht, er habe eine "besondere Beziehung" zur Islamischen Republik. Bei Ministern heißt es schlichter, man "habe sie in der Tasche". Hohe irakische Militärmitglieder fühlen sich Teheran genauso verpflichtet wie Bagdad: "Alle Geheimdienstinformationen der irakischen Armee - betrachten Sie sie als die Ihren", ließ ein General laut dem Leak wissen. Zum Informantennetz Teherans stießen auch viele Ex-Zuträger der US-Geheimdienste, die nach dem Abzug der USA 2011 ohne Gehalt und ohne Schutz waren. So weiß Teheran nun viel über die Anwerbung und Ausbildung von CIA-Agenten, über deren Ausrüstung und Infrastruktur.

Der Chef der Al-Quds-Brigaden wird in den Papieren immer wieder genannt

Sehr häufig taucht in den Depeschen der Name eines Mannes auf, der für viele als Personifikation der Einflussnahme Irans in der Region gilt: Generalmajor Qassim Soleimani. Er ist Kommandeur der Al-Quds-Brigaden, der Elitetruppe der Revolutionsgarden. Er jettet von Krisenherd zu Krisenherd, überbringt der Hisbollah in Libanon Anweisungen oder leitet iranisch geführte Milizen, die für Teherans Klienten Baschar al-Assad in Syrien kämpfen.

Irans Präsident Hassan Rohani und seine Regierung haben auf das Handeln des Generalmajors kaum Einfluss. Er untersteht direkt Irans Oberstem Führer Ali Chamenei und betreibt in dessen Namen Politik, die Außenminister Dschawad Sarif oft vor vollendete Tatsachen stellt. Die geleakten Depeschen entstammen nicht Soleimanis Organisation, sondern dem Teheraner Ministerium für Geheimdienste und Sicherheit, das mit dem Agentennetz der Revolutionsgarden in Konkurrenz steht - was sich in den Dokumenten teils in Lästereien über die Allgegenwart und Eitelkeit Soleimanis niederschlägt.

Wer die vorwiegend von 2014 und 2015 stammenden Depeschen weitergegeben hat, ist selbst The Intercept unbekannt, es scheint jedoch ein irakischer Mitarbeiter der iranischen Dienste zu sein. Ein Treffen mit US-Journalisten verweigerte er, schrieb jedoch, er wollte "die Welt wissen lassen, was Iran in meinem Land Irak macht". Das ist nun durch die schon wegen ihrer Faktendichte als glaubwürdig eingestuften Dokumente in noch feineren Details bekannt. Um zu erfahren, dass Qassim Soleimani im Irak so etwas wie ein Schattenregent ist, hätte es den Informationsabfluss aber nicht gebraucht. Als Iraks Sicherheitskabinett im Oktober zusammenkam, um über die Proteste im Land zu diskutieren, nahm Premier Mahdi nicht den Vorsitz ein. Auf dem Chefsessel saß bereits Soleimani, der die Sitzung dann auch leitete. In ihr legte er dar, wie gegen die Demonstranten vorzugehen sei - die auch gegen den iranischen Einfluss im Irak auf die Straßen gehen.

© SZ vom 19.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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