Geheimdienst-Affäre in Sachsen:Sizilien so nah

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Ist Dresden Corleone? Und ist Leipzig Palermo? Wer derzeit die Nachrichten aus Sachsen liest, der kann den Eindruck haben, dass Sizilien nun im Osten Deutschlands liegt.

Heribert Prantl

Man kann den Eindruck gewinnen, dass dort eine Mafia ihre Nester hat, deren Paten, getarnt als anständige Staatsbeamte, auf der Brühlschen Terrasse spazieren gehen; selbst Spitzen der staatlichen Gewalten sollen ja verwickelt sein in Laster und Verbrechen. Die Nachrichten aus Sachsen klingen so, als sei dort die organisierte Kriminalität die eigentliche Staatsgewalt.

Das alles soll sich ergeben aus Stapeln von Akten, in denen der Landesverfassungsschutz langjährige Beobachtungen gesammelt hat. Der Verfassungsschutz aber sitzt auf diesen Akten, als handele es sich um einen Schatz in Privateigentum. Er lässt es zu, dass sich unglaubliche, ja ungeheuerliche Gerüchte entwickeln - und verweigert zugleich die Herausgabe der Akten an die Ermittlungsbehörden.

Er wirft sich also auf zur angeblich einzig sauberen Behörde und stellt sich selbst außer Kontrolle. Das Verhalten des Verfassungsschutzes diskreditiert die anderen Staatsgewalten, vor allem die Justiz. Es unterstellt den demokratisch kontrollierten Staatsgewalten, den Gewalten also, in denen - jedenfalls verglichen mit dem Geheimdienst - einige Transparenz herrscht, dass man ihnen nicht mehr trauen könne.

Der Geheimdienst als Staat im Staat

Dies ist der eigentliche Kern der sächsischen Dubiositäten - der Verfassungsschutz des Landes geriert sich als Staat im Freistaat. Entweder es gibt Erkenntnisse über schwere Straftaten; dann ist es eine Straftat, die Akten für sich zu behalten und sie nicht der Staatsanwaltschaft zu übergeben.

Wenn es aber Erkenntnisse über schwere Straftaten nicht gibt, dann ist es skandalös, wenn diese vorgetäuscht werden, um sich selbst wichtigzumachen. So oder so - in beiden Fällen treibt das Verhalten des Verfassungsschutzes den Freistaat an den Rand einer Staatskrise. Der Landesverfassungsschutz hat also dem Land, das er schützen soll, geschadet. Damit verstößt er gegen seinen Auftrag.

Die Verfassungsschützer behandeln die Staatsanwaltschaft und die Gerichte so, wie das die US-Behörden zu tun pflegen, wenn in Deutschland Prozesse gegen fundamentalistische Terroristen geführt werden. Man verweigert die Herausgabe der Akten. Wenn diese Unterdrückung von Beweismitteln anhält, wird die Staatsanwaltschaft den Geheimdienst durchsuchen und die Akten beschlagnahmen müssen. Von da an ist dann der weitere Umgang mit den Akten gesetzlich geregelt und rechtsstaatlich kontrollierbar.

Schützt der Verfassungsschutz die Verfassung?

Die dubiose Geschichte in Sachsen hat eine Vorgeschichte: Der sächsische Verfassungsgerichtshof hat vor zwei Jahren Teile des sächsischen Verfassungsschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt - die Teile nämlich, in denen das Gesetz den Geheimdienstlern die Befugnis eingeräumt hatte, Informationen über jegliche Organisierte Kriminalität (OK) zu sammeln.

Das Verfassungsgericht untersagte dies, weil es sich bei der Bekämpfung der OK um klassische Aufgaben von Polizei und Staatsanwaltschaft handele; das höchste Gericht erlaubte die geheimdienstliche Tätigkeit hier nur insoweit, als dies zugleich dem Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung diene.

Der Verfassungsschutz (er verfügt dort immerhin über 211 Planstellen) hätte nach diesem Urteil seine Ermittlungstätigkeiten einstellen müssen - und die Akten, soweit sie Hinweise auf Straftaten enthalten, der Staatsanwaltschaft, und, soweit nicht, dem Staatsarchiv übergeben müssen. Weder dies noch das ist geschehen. Warum nicht? Wer hatte daran welche Interessen?

Offenbar war es sogar so, dass die vom Verfassungsgericht untersagten Ermittlungen vom Verfassungsschutz weiterbetrieben wurden. Sollte dies so gewesen sein und sollten dabei Telefone abgehört und Grundrechte verletzt worden sein, hätten sich die Verfassungsschützer strafbar gemacht.

Ohne Rechtsstaatlichkeit

Was immer und wie viel faul im Staate Sachsen ist: Faul ist zunächst einmal das fleißig rechtsstaatswidrige Verhalten des Landesverfassungsschutzes. Wer ein Exempel dafür sucht, warum man dessen Aufgaben den ordentlichen Ermittlungsbehörden übertragen sollte, der wird in Sachsen fündig.

Es ist ja nicht so, dass der Staat ohne Verfassungsschutz schutzlos dastünde. Bei der Polizei und bei der Staatsanwaltschaft, also bei den rechtsstaatlich kontrollierten Gewalten, gibt es ja auch Staatsschutz-Abteilungen. Sollten sich dort schwarze Schafe finden, wird man sie schneller finden als beim Geheimdienst. Der Verfassungsschutz ist der Eisberg der Demokratie. Die Kontrolleure im Kontrollausschuss des Parlaments sehen nur die Spitze. Auf den Gang der Dinge und die laufende Arbeit haben sie so wenig Einfluss wie die Schülermitverwaltung auf die Korrektur von Abituraufgaben.

Geheimdienstkontrolle: Das ist kein sächsisches, sondern ein grundsätzliches Problem. Wenn ein Geheimdienst Polizeiaufgaben wahrnimmt und dabei noch eine Tarnkappe aufsetzt (wie dies viele neuere Gesetze erlauben), muss er auch wie die Polizei angeleitet und kontrolliert werden; nicht nachträglich von überlasteten Parlamentariern, sondern laufend von Staatsanwaltschaft und Justiz.

© SZ vom 15. 6. 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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