Gegenmaßnahmen:Mal ganz, mal gar nicht

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In Nordrhein-Westfalen mussten 126 Schulen teilweise schließen: Drive-in-Testzentrum eigens für Lehrkräfte und Schüler in Bielefeld. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Die Zahl der Schulen, die in den Bundesländern schließen, unterscheidet sich auffällig. Der Ruf nach einheitlichen Regeln wird lauter.

Von Susanne Klein

Wer sich vergegenwärtigt, was in diesem neuen, unwägbaren Schuljahr eine komplette oder teilweise Schulschließung nach sich zieht, der will nicht nur wissen, wie die Schule, die Lehrkräfte, die Schülerinnen und Schüler damit klarkommen. Er will auch wissen, wie viele Schulen in Deutschland von bestätigten Corona-Fällen und den folgenden Anordnungen der Gesundheitsämter überhaupt betroffen sind. Und er wüsste ebenfalls gern, wie viele Lehrer den Schulen bei der Bewältigung dieses Ausnahmeschuljahrs fehlen, weil sie als Angehörige der Corona-Risikogruppe vom Präsenzunterricht befreit sind.

Doch das herauszufinden ist mangels bundesweiter Statistik nicht so einfach. Auch eine aktuelle Umfrage der Süddeutschen Zeitung bei 14 Kultusministerien (Baden-Württemberg und Bayern haben noch Ferien) ergibt nur ein lückenhaftes Bild. Manche Ministerien werten die Rückmeldungen aus Schulen erst noch aus, einige machen nur unvollständige Angaben.

Und ein Bundesland, Schleswig-Holstein, antwortet trotz Nachfrage lieber erst gar nicht. In Rheinland-Pfalz, das in diesem Jahr mit seiner Bildungsministerin Stefanie Hubig der viel gescholtenen Kultusministerkonferenz (KMK) vorsitzt, kann man sich so viel Zurückhaltung natürlich nicht erlauben. Auf die SZ-Anfrage meldet das Mainzer Ministerium landesweit 79 Fälle von Schülern und Schülerinnen, die sich mit dem Covid-19-Virus infiziert haben. Bei den Lehrkräften habe es seit Schuljahresbeginn nur zwei Fälle gegeben. 22 Schulen mussten deswegen Lehrende und Lernende nach Hause schicken, ganz geschlossen wurde keine. Das ist im Verhältnis zu allen Schulen im Land (rund 1500) ein vergleichsweise kleiner Anteil von 1,5 Prozent. Das benachbarte Saarland, zeitgleich ins Schuljahr gestartet, musste in immerhin 15 von rund 315 Schulen zumeist eine oder zwei Klassen in Quarantäne schicken. Dies entspricht einem Anteil von 4,7 Prozent. Bundesweit betrachtet schwanken die Zahlen, soweit vorhanden, zwischen sechs und 126 teilweisen Schulschließungen pro Land.

Die Zahl 126 teilt das nordrhein-westfälische Bildungsministerium mit. Fünf Schulen musste das mit 1,9 Millionen Schülerinnen und Schülern weitaus schülerreichste Land zudem ganz schließen. Damit sind von den rund 5200 Schulen 2,5 Prozent betroffen. In Personen ausgedrückt heißt das: 880 Lehrkräfte und 8740 Schülerinnen und Schüler befanden sich am vergangenen Mittwoch in Quarantäne. Mit diesen Teil- und Komplettschließungen ist NRW zwar etwas stärker involviert als Rheinland-Pfalz, wird aber nicht nur im Süden vom Saarland überrundet, sondern vor allem im Norden von Hamburg.

In der Hansestadt mussten laut Abfrage an 33 der rund 410 Schulen Klassen nach Hause gehen - acht Prozent. An der Schuljahresdauer kann es kaum liegen, Hamburg startete nur vier Tage früher als NRW. Auch die bei schulischen Vergleichen oft betonten besonderen Bedingungen in Stadtstaaten erklären die hohe Rate nicht völlig, liegt doch im fast zeitgleich gestarteten Berlin der Anteil der teilweise geschlossenen Schulen bei knapp unter fünf Prozent.

Wie es zu solchen Schwankungen kommt, wird vielleicht niemals wirklich zu klären sein. Regionales Pandemiegeschehen, unterschiedliche Vorgaben bei der Maskenpflicht, Probleme beim Lüften in Klassenzimmern und mit den Abständen in Schulgebäuden sowie Bussen - wer will das Wirrwarr möglicher Ursachen aufdröseln? Umso lauter wird von Tag zu Tag der Ruf nach einer Vereinheitlichung der Regeln. Die Ministerpräsidenten und Kanzlerin Angela Merkel haben die KMK beauftragt, sich hierauf zu verständigen. Von einem Stufenplan je nach Dynamik der Pandemie ist die Rede, Bayern, Sachsen und Thüringen haben bereits solche Eskalationsmodelle. Bis zum vergangenen Wochenende werde die KMK womöglich etwas präsentieren, hieß es zunächst aus ihren Reihen. Dann schwieg sie jedoch und stellte am Dienstag auf SZ-Nachfrage einen angepassten Rahmenplan für Mittwoch oder Donnerstag in Aussicht.

Auch den Umgang mit Lehrenden aus der Corona-Risikogruppe müssten die Länder vereinheitlichen, haben Lehrkräfte gefordert. Dass Lehrerinnen und Lehrer trotz ärztlichen Attests in die Schulen beordert werden, wie in Schleswig-Holstein geschehen, sei kein gutes Signal. Zwischen 1,5 und 3,5 Prozent schwankt der Anteil der tatsächlich vom Präsenzunterricht befreiten Lehrkräfte, neun Länder haben hierzu Angaben gemacht. Ein Wert reißt auffällig nach oben aus. In Bremen wären neun Prozent der Lehrer vom Präsenzunterricht befreit, teilt das Ministerium mit. Allerdings starte man gerade eine neue Abfrage, weil sich auch Lehrkräfte aus der Risikogruppe für den Vorortunterricht entscheiden würden. Denn schließen musste das Land noch keine einzige Schule, das Schuljahr ist erst vier Tage alt.

© SZ vom 02.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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