Gefechte im Gazastreifen:Der aufgezwungene Bruderkampf

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Die Hamas kämpft für einen Gottesstaat. Doch es fragt sich, wie lange sie eine Bevölkerung zu einem Bruderkrieg zwingen kann, der von vielen abgelehnt wird.

Thorsten Schmitz

Mahmud Zahar ist von Beruf Chirurg, sein Spezialgebiet ist die Schilddrüse. Bis vor kurzem noch amtierte er außerdem als Außenminister in der Palästinenserregierung. Viel herumgekommen ist er in dieser Funktion nicht. Denn kaum ein Land wollte den Hamas-Funktionär empfangen. So empfing er in erster Linie Journalisten aus aller Welt in seinem schlichten Haus am Rand von Gaza-Stadt, dort, wo die Stadt in Flüchtlingslager ausfranst.

In einem Gespräch mit dem US-Magazin New Yorker war Zahar besonders auskunftsfreudig: "Was das Ziel von Hamas ist? Unser Ziel ist die Schaffung eines islamischen Gottesstaats in Palästina, in Ägypten, im Libanon, in Saudi-Arabien."

Der blutige Bruderkampf, der am Mittwoch mit unverminderter Härte im Gaza-Streifen fortgesetzt wurde, ist einerseits ein Kampf um die Kontrolle der Sicherheitsdienste. Als Folge der Koalitionsabsprache war ein Fatah-dominierter Sicherheitsdienst in Gaza eingezogen.

Hamas behauptete, dies sei nicht mit ihr als Koalitionspartner abgesprochen gewesen, Abbas wolle vielmehr die Macht der Hamas im Gaza-Streifen schwächen. Daraufhin waren erste Kämpfe ausgebrochen. Dem unabhängigen Innenminister Hani Kawasmi war es nicht gelungen, zwischen beiden Seiten zu vermitteln, er war deshalb Anfang Mai zurückgetreten.

Im Bruderkrieg manifestiert sich aber vor allem die entscheidende Schlacht um die Hoheit über das 365 Quadratkilometer große, umzäunte Gebiet am östlichen Mittelmeer, in dem die israelische Marine patrouilliert und dessen drei Ausgänge von Israel kontrolliert werden.

Kampf gegen alles Gottlose

Die Hamas will nicht nur Israel zerstören, wie es im Gründungsstatut von 1987 festgeschrieben steht, sondern auch alles Gottlose vernichten. Dazu gehört die säkulare, also weltlich orientierte Fatah. Hamas will im Gaza-Streifen einen islamistischen Gottesstaat errichten, weshalb der Bruderkrieg auch ein Religionskrieg ist, ein Kampf um die Gesellschaftsordnung.

In Israel bezeichnet man den Gaza-Streifen schon als "Hamastan" und das Westjordanland als "Fatahstan", weil dort die Hamas wegen der israelischen Militärpräsenz nur im Untergrund agieren kann und die Fatah in der Mehrheit ist.

Am Mittwochnachmittag berichtete die israelische Zeitung Haaretz, die Eroberung des Gaza-Streifens durch die Hamas-Miliz stehe unmittelbar bevor. Seit Montag, dem Beginn der jüngsten Kämpfe, sind mehr als 50 Menschen getötet worden, darunter auch viele Zivilisten. Ein Ende der Auseinandersetzungen ist nicht in Sicht.

Der Einfluss der islamistischen Hamas auf den Alltag im Gaza-Streifen hat seit dem Rückzug Israels aus dem Gebiet vor zwei und den Wahlen vor eineinhalb Jahren stetig zugenommen. Die Hamas, deren Anhänger sich im Gaza-Streifen nicht vor der israelischen Armee verstecken müssen, haben das Leben dort strikt reglementiert. Internet-Cafés werden angezündet, Kinos und Discos sind verboten, Fernsehmoderatorinnen, die unverhüllt vor der Kamera Nachrichten verlesen, werden mit Ermordung bedroht.

Hamas kümmert sich nicht darum, dass es im Gaza-Streifen keine Kanalisation gibt, dass jeder freie Platz in eine Müllkippe umfunktioniert wird und dass die Arbeitslosigkeit bei 80 Prozent liegt. Vielmehr sorgt sie dafür, dass in den Schulen des 40 Kilometer langen und fünf Kilometer breiten Streifens der Koran gelehrt wird und keine Fremdsprachen, dass es nirgends Alkohol gibt und Frauen sich nur in langen Gewändern im Meerwasser erfrischen dürfen.

Feindbild Abbas

Der Hass der Hamas konzentriert sich auf den Fatah-Chef, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Abbas gilt als Marionette der USA und Israels, die Minister der Fatah halten sie für korrupt. Sie sollen, wie EU-Rechnungsprüfer bereits vor Jahren gerüffelt hatten, mit westlichen Hilfsgeldern ihre Badezimmer mit italienischem Marmor verkleidet und sich selbst mit nagelneuen Limousinen aus Europa versorgt haben.

Hamas dagegen präsentiert sich als rein und unbestechlich und in wahrstem Sinne des Wortes auch als Ordnungsmacht - tatsächlich aber schafft sie mit ihren Attacken auf die Landsmänner Unordnung.

Auch ist es ihr nicht gelungen, den Alltag der palästinensischen Bevölkerung zu erleichtern, geschweige denn Reformen in Angriff zu nehmen. Stattdessen hat Hamas sich auf den Bürgerkrieg gegen die Fatah-Brüder vorbereitet und Waffen via Ägypten durch Tunnel in den Gaza-Streifen geschmuggelt. Den jetzigen Angriffen der Hamas sind genaue strategische Planungen vorausgegangen, weshalb davon gesprochen wird, Syrien und Iran stünden als Paten hinter dem Bürgerkrieg.

Es fragt sich, wie lange Hamas eine Bevölkerung zu einem Bruderkrieg zwingen kann, der von vielen abgelehnt wird. In Gaza-Stadt stellten sich am Mittwochmittag rund 1000 Menschen Hamas- und Fatah-Kämpfern in den Weg. Eine von der Washington Times veröffentlichte Umfrage fand heraus, dass 92 Prozent der Palästinenser an Depressionen und Angstzuständen litten. Schon wird spekuliert, dass der Unmut der Gaza-Bewohner über den Bürgerkrieg der Fatah bei Neuwahlen zu einem Sieg verhelfen werde.

© SZ vom 14.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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