Serbien: Mutmaßlicher Kriegsverbrecher gefasst:Spielt Mladic vor Gericht Theater?

Lesezeit: 4 min

Europas meistgesuchter mutmaßlicher Kriegsverbrecher Ratko Mladic ist gefasst - jetzt soll die Justiz die Aufarbeitung seines Falls übernehmen. Doch bereits die erste Anhörung musste unterbrochen werden, der ehemalige General präsentierte sich als gebrechlicher, alter Mann, der sich kaum verständlich machen kann. Die serbische Staatsanwaltschaft spricht von Taktik.

Das serbische Fernsehen zeigt Ratko Mladic mit grauen Haaren und Schirmmütze, den Weg zum Gericht legt er - von vier Wächtern begleitet - hinkend zurück. Der ehemalige Militärchef, der als "Schlächter von Srebrenica" bekannt geworden ist, präsentiert sich als schwacher, kranker Mann, der sich kaum mitteilen kann. Eine erste Vernehmung in Belgrad ist deshalb am Donnerstag abgebrochen worden. Die Anwälte zeichnen ein dramatisches Bild vom Gesundheitszustand des 69-Jährigen.

Erste Bilder des festgenommenen Ratko Mladic im Gericht in Belgrad: An diesem Freitag soll seine Vernehmung fortgesetzt werden. (Foto: dpa)

Der Ermittlungsrichter eines Sondergerichts zur Verfolgung von Kriegsverbrechern versuchte Agenturberichten zufolge, Mladic zu befragen. Er sei "psychologisch und körperlich" in schlechter Verfassung und habe daher nicht mit dem Gericht kommunizieren können, erklärte einer seiner Anwälte. "Es ist schwierig, irgendeine Art von Verständigung mit ihm aufzubauen", so der Anwalt weiter. Er sagte außerdem, Mladic erkenne die Zuständigkeit des UN-Kriegsverbrechertribunals nicht an. Noch am Donnerstagabend sollte Mladic von Ärzten untersucht werden.

Der Sprecher der serbischen Staatsanwaltschaft, Bruno Vekaric, wies im serbischen Staatsfernsehen RTS diese Darstellung zurück: Die angebliche Gebrechlichkeit von Mladic sei lediglich Teil seiner Verteidigungstaktik. Er habe Mladic als Mann erlebt, der seine Lage sehr wohl einschätzen und am Verfahren teilnehmen könne.

An diesem Freitag soll Mladic erneut vor Gericht erscheinen - voraussichtlich gegen Mittag, sagte Vekaric weiter. Mladic soll sich zur Anklage des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag äußern. Dann soll über seine Auslieferung entschieden werden. Diese solle "spätestens in sieben Tagen" über die Bühne gehen, so der Sprecher weiter.

Der wegen tausendfachen Mordes als Kriegsverbrecher gesuchte Mladic wurde am Donnerstag auf einem Bauernhof im Norden Serbiens gefasst. Zeitungsberichten zufolge sei der Serben-General "aus dem Bett heraus verhaftet" worden. Seine angeblich umfangreiche Leibwache, die ihn bei einer Festnahme hätte erschießen sollen, sei weit und breit nicht in Sicht gewesen. Auch seien keine modernen Kommunikationsmittel wie Handy oder Laptop gefunden worden.

Allerdings soll Mladic bewaffnet gewesen sein: Der serbischen Regierung zufolge soll er zwei geladene Gewehre bei sich gehabt, aber keinen Widerstand geleistet haben, sagte der für die Verfolgung von Kriegsverbrechern zuständige Minister Rasim Ljajic. Mladic habe zudem blass ausgesehen, so als ob er lange nicht an der frischen Luft gewesen wäre.

Der frühere General sah dem Minister zufolge eingefallen und deutlich älter aus. "Kaum jemand konnte ihn erkennen." Mladic hatte falsche Ausweisdokumente bei sich, die ihn als Milorad Komadic ausgaben. Aus Polizeikreisen hieß es, er habe Gesundheitsprobleme: eine zum Teil gelähmte Hand, Nierenprobleme und hohen Blutdruck.

Bei dem Haus seines Onkels Branislav Mladic im Dorf Lazarevo in der Vojvodina - eine Autostunde nördlich von Belgrad - handele es sich um "ein typisches Bauernhaus", berichteten serbische Medien. Das Gebäude sei in der Vergangenheit von den Sicherheitskräften mehrmals ohne Ergebnis durchsucht worden, Mladic sei erst vor zwei Wochen hier eingetroffen. Zuvor habe er sich in der Umgebung von Belgrad versteckt gehalten. Schon früher hatten die Verfolger herausgefunden, dass Mladic seine Verstecke in schneller Folge änderte.

Der ehemalige General wurde vom Haager UN-Kriegsverbrechertribunal unter anderem wegen des Massakers in der bosnischen Stadt Srebrenica im Jahr 1995 mit etwa 8000 Toten angeklagt. Mladic war für seine Grausamkeiten berüchtigt, er wurde als "Schlächter von Srebrenica" bekannt.

Dem Justizministerium in Belgrad zufolge soll Mladic frühestens am kommenden Montag, spätestens am darauffolgenden Mittwoch nach Den Haag gebracht werden. Ratko Mladic war mehr als 15 Jahre auf der Flucht, selbst beim Kriegsverbrechertribunal in Den Haag glaubte man zuletzt kaum noch an seine Festnahme.

Viele serbische Nationalisten verehren den Ex-General als Helden. Größere Proteste gegen dessen Festnahme sind aber bislang ausgeblieben. Am Donnerstag sind nur wenige Unterstützer auf die Straße gegangen, in der Hauptstadt Belgrad demonstrierten einige hundert Menschen gegen seine Verhaftung und die geplante Überstellung nach Den Haag.

Massaker von Srebrenica
:Als das Unvorstellbare passierte

Im Juli 1995 marschierten bosnisch-serbische Truppen in die UN-Schutzzone ein und richteten ein Massaker an - General Ratko Mladic gilt als Hauptverantwortlicher.

Ein historischer Rückblick in Bildern.

Nach der Ergreifung von Mladics Weggefährten, dem Serbenführer Radovan Karadzic, war es 2008 in Serbien landesweit zu Krawallen gekommen. Der serbische Präsident Boris Tadic erklärte, er werde eine Wiederholung derartiger Vorkommnisse nicht erlauben. "Wer auch immer versucht, das Land zu destabilisieren, wird verfolgt und bestraft werden."

Massaker von Srebrenica
:Als das Unvorstellbare passierte

Im Juli 1995 marschierten bosnisch-serbische Truppen in die UN-Schutzzone ein und richteten ein Massaker an - General Ratko Mladic gilt als Hauptverantwortlicher.

Ein historischer Rückblick in Bildern.

Die jahrelang ausbleibende Festnahme Mladics galt als eines der größten Hindernisse bei den Bemühungen Belgrads um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Entsprechend stellte Serbiens Präsident Boris Tadic klar, dass Belgrad nun als Gegenleistung für die Verhaftung von Mladic einen zügigen EU-Beitritt erwarte. "Ich hoffe, dass jetzt die Türen offen stehen", sagte der Präsident.

Die EU und die USA lobten Serbien für die Verhaftung. Die EU forderte aber weitere Reformen vor dem Beginn von Verhandlungen über einen Beitritt des Balkanlandes. Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete die Festnahme als überfällig und gute Nachricht für ganz Europa. "Mladic hat große Schuld für besonders dunkle und tragische Ereignisse in den Balkankriegen auf sich geladen."

Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, bezeichnete die Festnahme von Kriegsverbrechern als "Bringschuld Serbiens". Dafür könne das Land keine Gegenleistung erwarten, sagte Ischinger im Deutschlandfunk.

Nach Ansicht des bosnischen Außenministers ist Mladics Festnahme ein wichtiger Schritt für die Versöhnung auf dem Balkan. Diese stelle eine positive Entwicklung für Serbien dar, das unter erheblichen Druck der internationalen Gemeinschaft gekommen war, Europas meistgesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher zu fassen, sagte Außenminister Sven Alkalaj.

US-Präsident Barack Obama sagte, Mladic müsse zügig vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gebracht werden. "Auch wenn die Ermordeten dadurch nicht wieder lebendig werden, Mladic wird nun den Opfern und der Welt und dem Gericht Rede und Antwort stehen müssen."

Im Sommer 1995 hatten serbische Soldaten nach der Eroberung der UN-Schutzzone Srebrenica in Bosnien etwa 8000 bosniakisch-muslimische Männer und Jugendliche ermordet und in Massengräbern verscharrt. Auch die jahrelange Belagerung von Sarajewo und die vielen Toten in der bosnischen Hauptstadt werden Mladic angelastet, ebenso wie "ethnische Säuberungen" und Gräuel in Internierungslagern. Der ehemalige General war nach Kriegsende 1995 untergetaucht. Zuletzt war in Serbien ein Kopfgeld von zehn Millionen Euro ausgesetzt, die USA hatten zusätzliche fünf Millionen Dollar für seine Ergreifung ausgelobt.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/Reuters/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: