Geburtstag:Ein journalistischer Widerständler

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Anreger, Aufreger und profunder Aufklärer: Christian Schütze, hier im Jahr 1975 im Gespräch mit dem Wiener Grafiker und Maler Ernst Fuchs. (Foto: Gerd Pfeiffer/SZ Photo)

Der SZ-Redakteur Christian Schütze hat einst den Umweltjournalismus in Deutschland begründet. An diesem Samstag feiert er seinen 90. Geburtstag.

Von Heribert Prantl

Max Webers berühmter Satz, Politik sei "ein langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich" stammt aus dem Jahr 1919. Das Wort "Umwelt" war da noch nicht in Gebrauch, das Wort "Umweltschutz" kannte noch keiner. Und derjenige, von dem man sagt, dass er dieses Wort Jahrzehnte später erfunden hat, war noch nicht einmal geboren. Aber auf kaum eine politische Disziplin passt Webers Satz von der Bohrerei so gut wie auf die Umweltpolitik. Und für wenig andere Umweltschützer und Umweltjournalisten gilt die Beschreibung von "Leidenschaft und Augenmaß zugleich" so wie für Christian Schütze.

Er hat den Marktwahn schon angeprangert, als Joschka F. noch Ho-Ho-Ho-Chi-Minh rief

Der Journalist Christian Schütze hat dafür gesorgt, dass das Wort Umweltschutz ein Begriff wurde in Deutschland. Er hat dafür gesorgt, dass Politik und Öffentlichkeit den Wert von Natur- und Umweltschutz erkannten. Er war der erste Umweltjournalist dieser Zeitung und dieses Landes. Christian Schütze hat den ökonomischen Übermut, der auf ewiges Wachstum setzt, schon angeprangert, als Joschka Fischer noch Ho-Ho-Ho-Chi-Minh rief. Schütze war ein früher journalistischer Widerständler gegen die Vermarktung von Natur, er war ein Anreger, ein Aufreger und ein profunder Aufklärer. Als die "Bewahrung der Schöpfung" noch kein Predigtthema war, hat er, der engagierte evangelische Christ, schon davon geschrieben. Und er hat nicht nur geschrieben: Er hat gelernt und gelehrt, die Wochenenden in den Evangelischen, Katholischen und Politischen Akademien verbracht, er hat moderiert und doziert, er war ein Prediger in der Wüste, ein Ankläger der Meeresverschmutzung und ein Kritiker der Nutzung der Kernenergie. Ein heimattümelnder Naturbursche war er nie, ein Betroffenheitsaktivist auch nicht, auch kein Jutebeutler. Er war aber ein Glücksfall für die Süddeutsche Zeitung, für ihre Leserinnen und Leser und für die Kolleginnen und Kollegen, die mit ihm arbeiten durften.

Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, als die Deutschen die Bedrohung der Umwelt zu entdecken begannen, war er einer, der wissend, gescheit und überzeugend zu werten und zu bewerten wusste. Er tat es unverdrossen und oft mit provozierend ironischer Gelassenheit. 1981 gibt die Deutsche Bundespost die erste Briefmarke heraus, die dem Umweltschutz gewidmet ist. Diese Briefmarke zeigt einen Schmetterling, einen Fisch und den Zweig eines Nadelbaums. Eigentlich hätte sie auch Christian Schütze zeigen können - weil er das Bewusstsein dafür geweckt hat, dass die Bewahrung der Schöpfung, der Umweltschutz keine Spinnerei sind, sondern eine Notwendigkeit.

Der gebürtige Sachse Christian Schütze war von 1964 bis 1993 Redakteur der Süddeutschen Zeitung, dazwischen kurz einmal Chefredakteur der Zeitschrift Natur, er war Chef der innenpolitischen Redaktion der SZ und natürlich der erste Leiter und der Genius eines Ressorts "Umweltpolitik", das und mit dem sich die Süddeutsche Zeitung schmückte.

Wolfgang Roth, Christian Schützes Nachfolger als Umweltjournalist der SZ, hat zum Ausstand von Schütze in der SZ-Redaktion die feine Art beschrieben, mit welcher der Kollege auf die allzu schlichten Weltbilder zu reagieren pflegte - etwa auf die volkstümliche, allerlei Unfug legitimierende Aussage, Menschen seien immer noch wichtiger als Frösche: "Schütze verzichtet in solchen Fällen auf grobe Widerworte und belässt es bei einem amüsierten, sein Gegenüber auf Kaulquappengröße eindampfenden Lächeln."

"Ein Unermüdlicher geht unermüdet in Rente" stand seinerzeit in der Zeitung, als Schütze sich, bestens gelaunt, in den Ruhestand verabschiedete - und von da an, wie er es nannte, seine Privatpraxis pflegte, also Kommentare und Essays für Zeitschriften, Radio und Fernsehen schrieb.

In der wichtigsten seiner vielen Buch-Veröffentlichungen, "Das Grundgesetz vom Niedergang", 1989 erschienen, weist Schütze auf bestechende Weise nach, wie die Wachstumswirtschaft, wie Arbeit die Welt ruiniert; er konfrontiert die Leser mit den schädlichen Folgen einer unreflektierten Arbeitsethik. Die Süddeutsche Zeitung hat Schütze mit einer reflektierten Arbeitsethik befruchtet. Als Redaktionssprecher war er Nachfolger des legendären Ernst Müller-Meiningen jr., er war Mitbegründer des intern sogenannten Revolutionsausschusses der Redaktion, wurde einer der Väter des Redaktionsstatuts, das der Redaktion der Süddeutschen Zeitung bei der Besetzung der leitenden Positionen der Zeitung ein entscheidendes Mitspracherecht gegenüber den Verlegern sichert. Es gilt bis heute.

Der römische Dichter Ovid hat gesagt: Glücklich ist, wer das, was er liebt, auch wagt, mit Mut zu beschützen. Christian Schütze hat das fast ein Menschenleben lang getan - und man sieht ihm das Glück an. Er ist ein wunderbar jung gebliebener Mensch, der an diesem Samstag in Wolfratshausen seinen 90. Geburtstag feiert. Die Süddeutsche Zeitung und der Autor dieser kleinen Laudatio haben ihm viel zu verdanken.

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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