Gaza-Streifen:Der große kleine Widerstand

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Hunderte Zivilisten haben als menschliches Schutzschild einen israelischen Luftangriff auf das Haus eines Hamas-Mitglieds verhindert. Das angeblich schwache palästinensische Volk hat durch gewaltlosen Widerstand den Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen.

Thorsten Schmitz

Im Nahen Osten herrscht Stagnation. Es gibt zwar einen Friedensfahrplan des Nahost-Quartetts, mit dessen Hilfe der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern beigelegt werden soll. Doch das Papier verstaubt in der Schublade.

US-Präsident Bush ist mit dem Irak beschäftigt und damit, seinen Ruf in den restlichen zwei Dienstjahren zu polieren. Die EU entsendet zwar alle zwei Wochen Emissäre, aber die Unterredungen bleiben substanz- und also folgenlos. Die Hauptakteure schließlich sind heillos in einen scheinbar unentwirrbaren Kreislauf aus Gewalt und Gegengewalt verstrickt.

300 tote Zivilisten seit Ende Juni

Israel nimmt für sich das Recht in Anspruch, seine Bürger vor den palästinensischen Kurzstreckenraketen zu schützen und lässt seine Armee einen Krieg führen gegen palästinensischen Terror. Dass dabei palästinensische Zivilisten getötet werden (allein seit Ende Juni rund 300), wird als Kollateralschaden betrachtet.

Dass die Armee-Invasionen im Gazastreifen weder zur Freilassung des entführten Soldaten noch zum Raketenstopp beitragen, ignoriert Israels Regierungschef Ehud Olmert geflissentlich.

Stattdessen schiebt er die Schuld auf die Autonomiebehörde für von Israels Armee getötete palästinensische Zivilisten. Diese wiederum wird von der Terroristen-Organisation Hamas geleitet, die das geschundene Volk zu Raketenbeschuss und Selbstmordattentaten ermuntert.

Den nicht enden wollenden Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt haben nun erstmals palästinensische Zivilisten durchbrochen. Am Wochenende versammelten sich mehrere hundert Palästinenser vor dem Wohnhaus eines Hamas-Mitglieds, das von Israels Luftwaffe bombardiert werden sollte, woraufhin die Armee den geplanten Beschuss absagte. Es gab also weder Tote noch Verletzte.

Ende des Katz-und-Maus-Spiels

Das angeblich schwache palästinensische Volk hat so durch gewaltlosen Widerstand Stärke bewiesen, indem es das Katz-und-Maus-Spiel seiner angeblich starken Führer durchbrochen hat.

Bisher wurde die Struktur des Nahost-Konflikts durch kriegerische Auseinandersetzungen dominiert, nicht durch gewaltlose Aktionen, geschweige denn Diplomatie. Mit ihrem Schutzschild aus Menschen haben die Palästinenser die Pläne sowohl der Hamas-Führung als auch der israelischen Regierung durchkreuzt.

Die Hamas hat bislang alle israelischen Angriffe propagandistisch ausgeschlachtet und als Rechtfertigung für ihren Kampf gegen Israel benutzt. Israels glücklos agierende Regierung wiederum versucht nach dem Libanon-Desaster, dem eigenen Volk durch Armee-Einsätze Stärke zu demonstrieren.

Ausgerechnet die Palästinenser haben nun dem militärisch überlegenen Israel gezeigt, wie entwaffnend der Nicht-Einsatz von Gewalt und wie effektiv ein Schutzschild sein kann. Olmert sollte nicht länger auf die Macht der Waffen setzen und nun endlich Gespräche mit der Palästinenser-Regierung aufnehmen - und die Palästinenser sollten eine Koalitionsregierung bilden, die Israels Existenzrecht anerkennt.

© SZ vom 20.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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