Gaus befragt RAF-Terrorist Klar:Aus der Besucherzelle

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Im Jahr 2001 hat Günter Gaus in Bruchsal den seit 1982 inhaftierten Christian Klar interviewt. In dem Gespräch, das heute wieder ausgestrahlt wird, zeigt sich, dass Klar nicht zum Talkstar taugt: Er will sich nicht offenbaren, sondern erklären.

Willi Winkler

Das Gefängnis ist kein Ort für Menschen, aber das Fernsehen auch nicht. Noch schlimmer fast als die Vorstellung, zwei Mörder könnten nach 24 oder 29 Jahren genug gebüßt haben und in die Unfreiheit eines restlos gescheiterten Lebens entlassen werden, noch schrecklicher scheint die Vorstellung, sie könnten in Talkshows Propaganda machen für den bewaffneten Kampf in Mitteleuropa.

Der Terrorist und der Publizist: Klar (li.) und Gaus im Gespräch (Foto: Foto:rbb)

Frank Plasberg hat schon Interesse an Brigitte Mohnhaupt signalisiert, Maybrit Illner und Bärbel Schäfer wollen sich dem Gedanken nicht verschließen. Aus Kerners Redaktion heißt es (und soviel Reststrafe muss sein): "Auf ein Honorar müsste sie allerdings verzichten."

Es ist immer wieder lehrreich, bei solcher Gelegenheit zu erfahren, wie viel das Fernsehen von der Welt weiß, nämlich nichts. Im Sommer 1977 öffnete die Hamburger Anwaltstochter Susanne Albrecht den beiden RAF-Terroristen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt die Tür bei ihrem Nenn-Onkel Jürgen Ponto, dem Vorstand der Dresdner Bank. Er sollte entführt und gegen die Häftlinge in Stammheim ausgetauscht werden.

Mörder vor der Kamera

Ponto wehrte sich und wurde von den beiden umgebracht. Susanne Albrecht rechtfertigte die Mordtat, indem sie sich von ihrer großbürgerlichen Herkunft verabschiedete, dem "Universum der Kohle, in dem alles Gefängnis ist". Aber selbstverständlich würde jeder Talk-Schwadroneur sämtliche staatsbürgerlichen Bedenken vernachlässigen, wenn ihm dafür das Zuschauerinteresse lacht.

Mörder vor der Kamera, Mörder, die sich vor dieses Volksgericht ziehen lassen, sind quotentechnisch unschlagbar. Aber warum sollte das Fernsehen auch der Welt die moralische Anstalt ersetzen? Es ginge auch anders, und dass es möglich ist, über den Irrsinn zu sprechen, der die RAF so lange befeuerte, belegt das Gespräch, das der 2004 verstorbene Günter Gaus mit Christian Klar in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal geführt hat.

Bei der Erstausstrahlung im Dezember 2001 werden es nicht viele gesehen haben. Die Welt ächzte noch unter dem Angriff ganz anderer Terroristen auf das World Trade Center, als dass sie sich um einen damals 49-jährigen Gefängnisinsassen gekümmert hätte, der stockend von seinem Zustand berichtete, der mit Paranoia nur sehr unzureichend beschrieben wäre. Der RBB wiederholt diese dunkle Sternstunde des Fernsehens am heutigen Donnerstag.

Vor allem kann er: Schweigen

Ohne Günter Gaus, ohne die Vorgeschichte seiner Gespräche der Reihe Zur Person mit Hannah Arendt und Herbert Wehner, hätte sich kein Sendeplatz für dieses durch zögernde Sätze unterbrochene Schweigen gefunden. Klar sitzt in einer Besucherzelle, die mit dem grünen Heizkörper und dem orangefarbenen Vorhang der normalen Welt draußen besonders schäbig angenähert ist.

Manchmal wippt er mit dem Turnschuh, und mit der rechten drückt er die linke Hand vor sich auf der Sitzfläche des Stuhls nieder. Klar will sich nicht offenbaren, sondern erklären und kann es nicht. Er spricht davon, dass er und seinesgleichen "bewusst aus einer Minderheitenposition gekämpft" hätten, "losgelöst von der Stimmung im Land" und dass ihnen die "Massenbasis nicht wichtig" gewesen sei´.

Mehr als dieses punktierte Schweigen ist von der gigantischen Wortproduktionsmaschine RAF, die in Hunderten von Manifesten, Erklärungen, Berichtigungen, in Tausenden von Kassibern und Millionen Blättern mit Ermittlungsakten ihr wahnhaftes und mörderisches Treiben rechtfertigen wollte, nicht geblieben. Die RAF, die Christian Klar im Jahr 1977 zusammen mit Brigitte Mohnhaupt anführte, schweigt, sucht nach Worten, sucht die Verständigung über die quasistalinistische Bekennerprosa hinaus und kann doch nichts erklären.

Einmal muss es doch gesagt werden: Christian Klar hat nicht das Format für die Talkshow. Wenn er zwischen Opfern und Fachleuten nach Worten suchte und doch nicht erklären könnte, was ihn in die Gewalt und zu den fünf Morden getrieben hat, deretwegen er verurteilt worden ist, er würde sich wieder mit der Zunge über die Oberlippe fahren, die Augen aufreißen, überlegen, schweigen.

Seit jenem Gespräch mit Gaus hat er noch mal fünf Jahre länger im Gefängnis gesessen. Selbst wenn er in diesem Jahr begnadigt würde oder im nächsten in den Genuss einer Freilassung auf Bewährung käme - der Mann kommt nie mehr frei.

Zur Person - Günter Gaus im Gespräch mit Christian Klar, RBB, 22.45 Uhr.

© SZ vom 1.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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