Gastkommentar:Von wegen harmlos

Lesezeit: 3 min

Zur Legalisierung von Cannabis-Produkten.

Von Ulrich W. Preuss

Der Notarzt brachte den 29-jährigen Patienten in unsere Klinik, da er beim Wochenendbesuch der Mutter "verhaltensauffällig" geworden war. Er klagte über innere Unruhe, Reizbarkeit, gestörten Schlaf und wenig Appetit. Seit dem 15. Lebensjahr konsumierte er regelmäßig Cannabis. Die Praxis habe er vor ein paar Tagen eingestellt. Trotz Ausbildung zum Industriekaufmann konnte er bisher keine Arbeit finden, unter anderem wegen Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen.

In diesen Wochen wird wieder für die Legalisierung von Cannabis geworben. Ein Joint, eine Wasserpfeife, ein paar Haschkekse - alles halb so wild, so die Botschaft. Eine derart lässige Sicht alarmiert Suchtmediziner. Der eingangs geschilderte Fall ist typisch. Wenn es um einen liberaleren Umgang mit Cannabis geht, gelten Suchtexperten als Spielverderber, da sie anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse auf die Folgen hinweisen. In Deutschland erfüllt schätzungsweise ein Prozent der 18- bis 69-Jährigen die Kriterien des Cannabismissbrauchs oder der Abhängigkeit.

Schätzungsweise neun Prozent aller Menschen, die einmal Cannabis probiert haben, entwickeln eine dieser Störungen. Der Anteil steigt auf 17 Prozent, wenn der Konsum in der Kindheit oder Jugend begonnen hat, und auf 25 bis 50 Prozent, wenn Cannabis täglich gebraucht wird. Cannabis ist der häufigste Grund, weswegen junge Menschen erstmals eine Suchttherapie beginnen. Besonders gefährdet sind Menschen, die mit dem Konsum als Kinder oder Jugendliche begonnen haben und diesen regelmäßig fortsetzen. Junge Leute befinden sich in einer kritischen Entwicklungsphase des Hirns, deshalb kann es zur dauerhaften Einschränkung des Denkens und der Konzentration kommen. Die Leistung in Schule und Ausbildung lässt nach, das ganze Leben kann einen anderen Verlauf nehmen. Biologisch vorbelastete Konsumenten riskieren mit regelmäßigem Cannabiskonsum, früher und etwas häufiger an einer schizophrenen Psychose zu erkranken. Auch Depressionen und Angststörungen treten häufig gemeinsam mit regelmäßigem Cannabiskonsum auf. Hinzu kommt eine Reihe weiterer Erkrankungen, etwa von Atemwegen und Lunge, Tumore im Hals und Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems.

Ungewöhnliche politische Koalitionen fordern derzeit eine Legalisierung von Cannabis. Dies schließt die FDP und sogar einen Bundesabgeordneten der CDU ein. Die Grünen legten dem Bundestag ein "Cannabis-Kontrollgesetz" vor. Als wichtige Argumente gegen die bisherige "Prohibitionspolitik" werden die vielen Konsumenten in Deutschland und Europa, die Belastung der Behörden durch die Verfolgung des Besitzes kleiner Mengen Hasch sowie die Existenz eines nicht unerheblichen Schwarzmarktes angeführt, von dem die organisierte Kriminalität profitiert. Auch Lobbyverbände, die in Berlin gut vernetzt und mit viel Geld ausgestattet sind, betreiben die "Legalisierung von Cannabis" als politisches Ziel. Sie behaupten, dass Cannabis hinsichtlich aller möglichen Konsequenzen "wesentlich weniger gefährlich als Alkohol oder Tabak" sei.

Besonders Kinder und Jugendliche sind gefährdet, wenn sie Hasch konsumieren

Diese Aussage ist schwer zu überprüfen. Da Cannabis im Vergleich zu Tabak und Alkohol im Gehirn überlappende, aber unterschiedliche Wirkungen hervorruft, sind die Folgen des Konsums nur schwer vergleichbar. Allerdings wurden in Großbritannien bereits im vergangenen Jahrzehnt die schädlichen Folgen des Konsums von Cannabis und anderen legalen und illegalen Substanzen miteinander verglichen. Danach werden Alkohol und Tabak tatsächlich bei Weitem ungünstiger bewertet als Cannabis. Auch in meiner klinischen Erfahrung sind die langjährigen Wirkungen von Alkohol und Tabak viel gravierender und haben, anders als Cannabis bisher, eine erhebliche Zahl an Todesfällen zur Folge. Jedes Jahr sterben in Deutschland 70 000 Menschen an den Folgen des Alkohols und 100 000 an denen des Tabaks. Dennoch muss berücksichtigt werden, dass sich der Gehalt der rauschbewirkenden Substanz THC in Cannabisprodukten zuletzt deutlich erhöht hat. Dies könnte in Zukunft zu einer geänderten Risikobewertung führen.

Das auch im Gesetzesvorschlag der Grünen enthaltene Abgabeverbot an Jugendliche ist zwingend, aber unzureichend. Die Grünen planen ein Abgabeverbot nur bis zum 18. Lebensjahr. Die neurobiologische Forschung belegt jedoch sehr gut , dass die Gehirnreifung noch mindestens bis 21 dauert. Im Gesetzentwurf werden zudem wichtige Elemente der Prävention nicht erwähnt, da es in der Praxis gerade Jugendliche sind, die mit Probierkonsum beginnen, aus dem schnell schädlicher Dauerkonsum werden kann. Das soll durch die Schulung von Verkäufern in "Cannabis- Fachgeschäften" verhindert werden. Da diese Geschäfte an regelmäßigen Käufern interessiert sind, kann man sich vorstellen, wie gering die Wirkung sein wird. Im Zweifel dürfte das Geschäft vorgehen.

Stattdessen benötigen wir eine umfassendere Präventionsstrategie, die öffentliche Aufklärung mit der von Schulen und Eltern kombiniert und auf die Wirkungen und Risiken von Cannabis hinweist. Außerdem wird eine Chance verspielt, wenn nicht eine zweckgebundene Abgabe von den Cannabis-Konsumenten erhoben wird, die die Forschung über Störungen und Therapien finanziert. Wenn an eine "kontrollierte Abgabe" von Cannabis überhaupt gedacht wird, sollte dieser wichtige Aspekt nicht vergessen werden.

Unser eingangs erwähnter Patient konnte nach mehreren Wochen Entzug an einer Sucht-Rehabilitation teilnehmen. In solchen Einrichtungen kann er über Wochen seine Abhängigkeit therapieren und schrittweise an der Besserung von Konzentration und Aufmerksamkeit arbeiten. So mühsam ist der Weg zurück ins normale Leben.

Ulrich W. Preuß, 48, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Kreiskrankenhaus Prignitz.

© SZ vom 27.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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