Gastkommentar:Unter Kannibalen

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Selbst Jean-Bédel Bokassa, der selbsternannte Kaiser von Zentralafrika, der im Rufe eines Menschenfressers stand, wurde einst in der Sowjetunion willkommen geheißen. Heute schwenken Studenten dieselben roten Fähnchen für Putin.

Von Wladimir Kaminer

In Moskau werden in diesen Tagen Studenten und Rentner auf Unterstützungsdemos für Putin zusammengetrommelt, sie sollen so tun, als würden sie seine Kandidatur bei der Präsidentenwahl heiß unterstützen. Rote Papierfähnchen werden verteilt, die Studenten winken damit, allerdings ohne großen Enthusiasmus. Sie wissen, dass die Maßnahme eine Formalität ist, dem Kandidaten Putin ist es vollkommen egal, wie sie winken. Der Kandidat Putin weiß, dass sie wissen, dass es ihm egal ist. Doch auch das ist ihm egal.

In frühen Zeiten, als die Sowjetunion in der weiten Welt nach neuen Freunden suchte, winkten die Studenten und Rentner mit den gleichen Fahnen, wenn ein neuer Freund das Land besuchte. Viele asiatische, lateinamerikanische, afrikanische Länder taten damals so, als würden sie dem amerikanischen Imperialismus den Rücken kehren und sich für den sozialistischen Entwicklungsweg entscheiden. Dafür wurden sie in Moskau mit Waffen und Geld beschenkt und mit russischer Gastfreundlichkeit verwöhnt.

Skurrile Typen kamen damals zu Besuch, einen unvergesslichen Eindruck hinterließ Jean-Bédel Bokassa, der selbsternannte Kaiser von Zentralafrika, ein im Ruf des Kannibalen stehender Mann, der politische Gegner verspeist haben soll und schließlich im eigenen Land wegen Kannibalismus verurteilt wurde. Dieser sehr spezielle Imperator wurde drei Mal in der Sowjetunion empfangen, vom Generalsekretär auf den Mund geküsst und feierlich bei den Pionieren aufgenommen. Ihm wurde ein rotes Tuch wie ein Kinderlätzchen umgebunden und der Pioniereid abgenommen, Bokassa schwor, seine Kraft und Energie der Sache der Befreiung der Arbeiterklasse zu widmen (der Befreiung und der richtigen Zubereitung, dachte wahrscheinlich der Kaiser, der als erster menschenfressender Pionier in die Geschichte einging).

Wenn diese neuen Freunde nach Moskau kamen, wurden sie in einer Limousine langsam durch die verschneite Stadt gefahren. An den Straßen standen Studenten und Rentner, sie hielten Transparente "Willkommen in der Familie der sozialistischen Brudervölker" hoch und winkten mit roten Fähnchen, damals sogar noch etwas enthusiastischer als heute für Putin. Den Studenten waren diese fremden Gäste egal und der Führung des Landes war ebenfalls egal, was die Studenten dachten und was sie wollten, solange sie brav mit Fähnchen dastanden. An dieser allgemeinen Gleichgültigkeit ist letzten Endes der Sozialismus gescheitert.

Es wird Putins fünfte Amtszeit, einmal ist er dem Volk in Gestalt von Medwedjew erschienen

Der einzige Mensch, dem damals nicht alles egal war und der unsere Studenten wirklich mochte, könnte der alte Jungpionier, Kaiser Bokassa, gewesen sein. Mit leuchtenden Augen schaute er die rotbackigen Menschen aus seiner Limousine an. Ehe er von den Franzosen weggeputscht wurde, hat er es geschafft, eine russische Stewardess zu heiraten. Ihre Hochzeit wurde im Fernsehen übertragen. Danach hat man die Stewardess nie wieder gesehen. Hat sie den Kannibalen wirklich geliebt oder bloß keine Wahl gehabt? Hat sie gehofft, irgendwie wird es schon klappen?

Die Wahrheit wird man nie erfahren. Am 18. März haben die Russen allerdings keine Wahl, sie müssen Putin zum vierten Mal auf weitere sechs Jahre wählen. Eigentlich wird es sein fünftes Mal, einmal ist er dem Volk in Gestalt seines Premierministers Medwedjew erschienen. Meine Landsleute sind Fatalisten, sie denken, irgendwie wird es schon klappen, wenn nicht, haben wir Pech gehabt.

Wladimir Kaminer , 50, lebt als Schriftsteller in Berlin. Er stammt aus der früheren Sowjetunion.

© SZ vom 10.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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