Gastkommentar:Endlich Chefsache

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Nur wenn die Stellung von Frauen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft gestärkt wird, lassen sich die Probleme der Menschheit in den Griff bekommen. Beim UN-Gipfel an diesem Wochenende gibt es eine Chance dafür.

Von Phumzile Mlambo-Ngcuka

Derzeit versammeln sich Tausende Repräsentanten aus aller Welt in New York zum UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung. Sie werden Zeugen des ehrgeizigsten Vorhabens seit der Verabschiedung der UN-Menschenrechtscharta von 1948 sein, denn es geht darum, die persönlichen Rechte und Chancen der Menschen weltweit zu erweitern. Ziel ist es, bis spätestens 2030 eine gerechtere, nachhaltigere Welt zu erschaffen. Die vollkommene Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist deren Kern.

Wir stehen damit an einer Schwelle. Viele Regierungen und gesellschaftliche Gruppen haben durch ihr Engagement die Erwartung geschürt, dass diese neue Agenda ein Erfolg wird. Wir müssen einige der Schlüssel-Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistern: Es geht um Armut und Ungleichheit allgemein, um Gewalt gegen Frauen. Die Stärkung von Frauen auf allen Ebenen ist eine Voraussetzung dafür. Wir wissen, dass wir die Welt ohne Geschlechter-Gerechtigkeit und volle Teilhabe von Frauen an Gesellschaft, Wirtschaft und Politik nicht so gestalten können, wie wir sie den nachfolgenden Generationen hinterlassen wollen.

Tatsache ist: Regierungen haben sich wiederholt zu entsprechenden Veränderungen verpflichtet. Es gibt zahlreiche internationale Vereinbarungen zur Nicht-Diskriminierung, zur Förderung von Frauen. Aber bis heute wurden diese Verträge noch in keinem Land in ausreichendem Maße mit Leben gefüllt.

Allerdings gibt es derzeit starke Anzeichen dafür, dass sich das ändert. Im Juni haben die G-7-Staaten unter deutscher Präsidentschaft eine Erklärung abgegeben, in der sie sich zur Ermächtigung von Frauen verpflichtet haben. Vor allem haben sie deren wirtschaftliche Stärkung als wichtigen Treiber für Innovation und Wachstum identifiziert. Sie haben Unternehmen gedrängt, sich zu entsprechenden Grundsätzen zu bekennen, die UN Women mitentwickelt hat, den Women's Empowerment Principles. Dabei geht es vordringlich darum, die Position von Frauen am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Eine Forderung ist, dass der Anteil von Frauen auf allen Führungsebenen mindestens 30 Prozent betragen soll.

Erst vor wenigen Tagen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin 50 Frauen aus der Privatwirtschaft, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und UN Women zu einer lebendigen Debatte darüber empfangen, wie man die Führungsrolle von Frauen in Politik und Wirtschaft stärken könnte. Es ist ermutigend, Staatschefs zu erleben, die die Gleichstellung von Frauen zu einer Priorität ihrer Politik machen. Alle empirischen Belege zeigen, dass ein solches Engagement entscheidend für Wohlstand und Wachstum ist. Die Rolle, die Angela Merkel dabei spielt, wünschen wir uns auch von anderen Regierungschefs.

An Rezepten fehlt es nicht: 20 Jahre, nachdem in Peking die Deklaration zu den Frauenrechten verabschiedet worden ist, haben wir umfangreiche Erkenntnisse darüber, was getan werden muss. Wir haben in diesem Jahr untersucht, wie die damals gefassten Pläne verwirklicht worden sind. 167 Länder haben uns über ihre Fortschritte bei der Gleichstellung berichtet.

Die Analyse zeigt, dass in einigen Bereichen Wichtiges erreicht wurde. Zum Beispiel gibt es in vielen Ländern Antidiskriminierungsgesetze. Mehr Mädchen gehen zur Schule, und die Müttersterblichkeit ist gesunken. Aber es ist inakzeptabel, dass die Fortschritte in anderen Bereichen so gering sind. Das betrifft vor allem den Zugang zu menschenwürdiger Arbeit und gleiche Entlohnung. Frauen verdienen noch immer 24 Prozent weniger Geld als Männer; selbst in Ländern wie Deutschland ist ihr Gehalt über die gesamte Lebensarbeitszeit nur halb so groß wie das der Männer. Kein einziges Land hat die Gleichstellung der Geschlechter erreicht!

Es klafft eine kritische Lücke zwischen denjenigen, die die Verpflichtungen erarbeiten, und denen, die sie umsetzen sollen und müssen. Mit der Gleichstellung beauftragte Ministerien bekommen nicht ausreichend Geld und haben nicht annähernd den Einfluss von zum Beispiel Außen- oder Finanzministerien. Wir sollten das ändern. Der Ehrgeiz bei den Zielen muss von ebenso ehrgeizigen Budgets begleitet werden. Organisationen, die Frauenrechte und die gleiche Beteiligung von Frauen vorantreiben, müssen dringend stärker finanziell unterstützt werden. Außerdem muss die Förderung von Frauen eine Querschnittsaufgabe werden.

An diesem Sonntag ist UN Women gemeinsam mit der chinesischen Regierung Gastgeber des Global Leader' s Meeting on Gender Equality and Women' s Empowerment. Dort werden wir die Regierungschefs eines jeden Landes bitten, persönlich die Verantwortung für den notwendigen Wandel zu übernehmen. 80 Staats- und Regierungschefs haben ihre Teilnahme zugesagt. Wir glauben, dass Engagement an der Spitze entscheidend dafür ist, in eine neue Epoche einzutreten. Ich hoffe und vertraue darauf, dass Angela Merkel dabei die Führung übernehmen wird.

Angesichts dieses großen Moments am Sonntag lade ich alle Staats- und Regierungschefs ein, sich zu Schritten zu verpflichten, die visionär sind, Barrieren einreißen und konkrete Lösungen bieten.

UN Women ist auf dem Weg bereits vorangegangen und hat die Kampagne "He for She" gestartet. Eine Million Männer sind dazu aufgerufen, "Botschafter des Wandels" zu werden. Darauf baut die Initiative Impact auf, die Führungskräfte in Regierungen, Unternehmen und Universitäten dazu bewegen möchte, von oben Veränderungen einzuleiten. Diese Strategien können dann auch auf andere Institutionen übertragen werden.

Kein anderes Thema auf der 2030- Agenda für nachhaltige Entwicklung wird eine solche Aufmerksamkeit bekommen. Kein anderes Thema ist so wichtig für ihren Erfolg.

Phumzile Mlambo-Ngcuka , 59, ist Exekutiv Direktorin von UN Women. Übersetzung: A. Borchardt

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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